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Morales "beerdigt" den Neoliberalismus

Bolivien: Gesetz zur Marktöffnung annulliert

Von Benjamin Beutler *

Zum 1. Mai verkündete Boliviens Präsident Evo Morales die Aufhebung eines Gesetzes, auf dessen Grundlage die neoliberale Ausplünderung des Landes forciert wurde. Damit wird zugleich die Rückgewinnung nationaler Souveränität über strategische Wirtschaftsektoren fortgesetzt.

Die »demokratisch-kulturelle Revolution« der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS) im südamerikanischen Andenland geht weiter. »Ich bin hierher gekommen, um gemeinsam mit euch das Dekret zu unterschreiben, das das Gesetz Nummer 21060 endgültig beerdigt«, gab Boliviens linksgerichteter Präsident Evo Morales Ayma pünktlich zum 1. Mai bekannt. Mit einem orangefarbenen Bergarbeiterhelm mit Che-Guevara-Sticker auf dem Kopf war Boliviens erster indigener Staatschef in der Bergarbeiterstadt Huanuni vor hunderte »Brüder Mineros« der staatlichen Bergbaufirma COMIBOL getreten.

»Die plurinationale Regierung«, so die jüngste Morales-Anordnung im Wortlaut, »bestimmt die komplette Eliminierung jeglicher rechtlicher Verfügungen und Betrachtungen auf Grundlage des Präsidialdekrets Nr. 21060«. Eine Arbeitsgruppe auf »hohem Niveau und aus verschiedenen Sektoren« wird die gesamte Gesetzgebung des Landes, das sich im Februar 2009 per Referendum eine neue Verfassung zur legislativen »Neugründung Boliviens« gegeben hatte, überprüfen. Das ökonomische, politische und soziale Modell im Geiste des Dekrets 21060 solle zerschlagen werden. Besonderes Augenmerk werde auf die rechtlichen Bestimmungen für Investitionen, Export, Waldwirtschaft, Banken, Finanzinstitutionen und Bergbau gelegt, besagen Medienberichte.

Das »verfluchte Gesetz 21060«, wie der Volksmund jenes Symbol der traumatischen Abkehr Boliviens vom starken Staat, von eigener Industrie und vom Binnenmarkt schimpft, war im Jahr 1985 auf Anraten des Erfinders der »Schocktherapie«, Jeffrey Sachs, in Kraft getreten. Wegen seiner marktradikalen Ausrichtung ist es die rechtliche Grundlage für Privatisierungen, den »Ausverkauf des Landes« durch ausländische Konzerne und die Bereicherung einer kleinen nationalen Elite. Nach Jahren der Militärdiktaturen war 1982 das an den Wahlurnen siegreiche Linksbündnis Demokratische Volksunion (UDP) in das Palacio Quemado eingezogen. Geerbt von den Obristen hatte es eine von Korruption und Verschuldung ruinierte Wirtschaft. Grassierende Hyperinflation, die Schuldenkrise Lateinamerikas und der Einbruch der Weltmarktpreise für Zinn zwangen die UDP schließlich in die Knie und machten Platz für wirtschaftsliberale Rezepte »made in USA«, wie sie später in ganz Lateinamerika traurige Berühmtheit erlangten.

Mit dem Aufgehen der Schere zwischen Arm und Reich soll in Bolivien Schluss sein. Die »Beerdigung« des Neoliberalismus-Gesetzes war zuletzt von der zwei Millionen Mitglieder starken Arbeiterzentrale Boliviens (COB) gefordert worden. Nach einem Generalstreik für mehr Lohn hatte sich die COB mit der Regierung zuletzt auf das Ende des gesetzes 21060 geeinigt.

Seit dem MAS-Wahlsieg im Dezember 2005 ist der Tag der Arbeit bevorzugter Termin für politische Ankündigungen der Linksregierung. Im Mittelpunkt steht die Rückgewinnung nationaler Souveränität über strategische Wirtschaftsektoren. In einer spektakulären Militäraktion der Armee hatte Morales 2006 Förderanlagen internationaler Energiefirmen besetzen lassen und die Nationalisierung der Gas- und Erdölwirtschaft verkündet. Zwei Jahre nach der erfolgreichen Neuverhandlung von Konzessionen und Steuern mit Multis wie BP, Repsol und Petrobras folgte der Aktienrückkauf der Pipeline-, Treibstoff und Lagerfirmen Andina Repsol, Chaco BP, Transredes und der deutsch-peruanischen CLHB. 2007 wurde dann die größte Zinnmine des Landes unter staatliche Kontrolle gebracht, 60 Prozent des bolivianischen Zinns, fünf Prozent der weltweiten Produktion, kommen von hier. Nach dem Vorbild der Nationalisierung des Energiesektors, wodurch sich die Staatseinnahmen verfünffacht haben, will die Regierung in den kommenden Monaten nun auch neue Förderverträge mit ausländischen Bergbaukonsortien führen.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Mai 2011


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