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Evo Morales warnt die USA

Boliviens Präsident droht auf UNASUR-Sondergipfel mit Schließung der Botschaft

Von Benjamin Beutler *

Beim Sondergipfel der Union Südamerikanischer Staaten (UNASUR) in Cochabamba haben Boliviens Verbündete mehrere EU-Staaten wegen der erzwungenen Zwischenlandung von Staatschef Evo Morales in Wien scharf kritisiert.

Die Verstimmung war nicht zu überhören: Beim Sondergipfel der Union Südamerikanischer Staaten (UNASUR) wurde der Affront gegen Boliviens Präsident Evo Morales einhellig verurteilt. Nach dem kurzfristig verhängten Überflugverbot für das aus Moskau kommende Flugzeug von Morales fordern die Staatschefs aus Südamerika Konsequenzen. Portugal, Italien, Spanien und Frankreich müssten »um Entschuldigung bitten«, heißt es in der Abschlusserklärung des Sondertreffens der UNASUR am Donnerstag Nachtmittag (Ortszeit) im zentralbolivianischen Cochabamba.

Frankreichs Präsident François Hollande kam dem Aufruf zur Entschuldigung schon nach. Er erklärte, es habe »widersprüchliche Informationen« über die Passagiere an Bord gegeben. Als er aber erfahren habe, dass es die Maschine des bolivianischen Präsidenten gewesen sei, habe er unverzüglich die Überfluggenehmigung erteilt, sagte Hollande.

Keine Einsicht gibt es in Madrid. »Es gibt keinen Grund für irgendeine Entschuldigung an Bolivien«, erklärte Außenminister José Manuel García-Margallo am Freitag in Madrid. In Spanien sei man davon ausgegangen, dass sich der von USA wegen Spionage per Haftbefehl gesuchte Geheimdienstspezialist Edward Snowden an Bord befunden habe.

Die Luftblockade in Richtung Süden zwang Morales zur Notlandung in Wien. Die UNASUR-Staaten sehen die internationalen Beziehungen zu Europa auf der Kippe. Die »unakzeptable Freiheitsbeschränkung« habe Morales zu einem »Entführten« gemacht. Die fünf angereisten Staatsoberhäupter aus Argentinien, Venezuela, Uruguay, Ecuador und Surinam forderten lückenlose Aufklärung. »Der Vorfall betrifft nicht nur Bolivien, sondern ganz Lateinamerika, er kompromittiert den Dialog zwischen beiden Kontinenten und möglichen Verhandlungen«, verlas ein Vertreter des brasilianischen Außenministeriums eine Stellungnahme von Präsidentin Dilma Rousseff, die selbst nicht am Gipfel teilnehmen konnte. Peru, Chile und Kolumbien hatten anstelle der Staatsoberhäupter ihre Botschafter geschickt. Paraguay nahm nicht teil, da es seit dem Parlamentsputsch 2012 gegen den damaligen Präsidenten Fernando Lugo noch suspendiert ist.

Venezuelas Nicolás Maduro machte den US-Auslandsgeheimdienst für das Überflugverbot verantwortlich: »Das war die CIA, die in Europa mehr Macht hat als die Regierungen.« Ecuadors Rafael Correa verurteilte bei der öffentlichen Veranstaltung im Stadion »La Coronilla« die »Doppelmoral« der USA. In einer eigenen Erklärung rief Kolumbien zur »Beilegung der unglücklichen Angelegenheit« über die »diplomatischen Kanäle« auf. Die »überraschende Rücknahme« der Überflugrechte, so Bogotá, habe »Risiken für die Gesundheit des bolivianischen Staatschefs, seiner Begleitung und der Mannschaft des Regierungsflugzeuges« in Kauf genommen.

Washington und La Paz steuern derweil auf eine neue Eiszeit zu. Ohne Angabe von Gründen sagte die US-Botschaft die Feierlichkeiten zur US-Verfassung ab, nachdem es vor der französischen Botschaft wütende Proteste gab. Seit der Ausweisung von US-Botschafter Phillip Goldberg wegen »Einmischung in innere Angelegenheiten« 2008 wird die US-Botschaft im Stadtzentrum nur noch von einem Geschäftsführer geleitet. Auch die US-Antidrogenbehörde DEA und die Entwicklungsbehörde USAID mussten das Andenland verlassen. »Mir zittert nicht die Hand, die Botschaft der USA zu schließen«, warnte Morales. Die »neoliberalen Regierungen« in den Industriestaaten würden nicht akzeptieren, »dass wir Länder der Karibik und Lateinamerika besser regieren können, das verstehen sie nicht, und darum nutzen sie Agenten, um uns zum Schweigen zu bringen, uns einzuschüchtern, abzustrafen.«

* Aus: neues deutschland, Samstag, 6. Juli 2013


Entschuldigung verlangt

Nach Eklat um Überflugverbot: Solidarität anderer südamerikanischer Länder mit Bolivien. Scharfe Kritik an europäischen Regierungen

Von André Scheer **


Ein einfaches »Bedauern«, wie es Paris am Donnerstag ausgesprochen hat, reicht nicht. Bei einem kurzfristig einberufenen Gipfeltreffen der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) haben die Staatschefs von Argentinien, Ecuador, Venezuela, Uruguay, Surinam und Bolivien am Donnerstag (Ortszeit) im bolivianischen Cochabamba von Frankreich, Spanien, Portugal und Italien eine öffentliche Entschuldigung für die Evo Morales in der Nacht zum vergangenen Mittwoch verweigerte Überfluggenehmigung verlangt.

Evo Morales hatte sich auf dem Rückweg vom Gipfeltreffen der erdgasexportierenden Länder in Moskau befunden, als das Gerücht aufkam, der US-Geheimdienstaussteiger Edward Snowden befinde sich an Bord der Maschine. Daraufhin sperrten die vier europäischen Länder ihren Luftraum für das Flugzeug, das daraufhin in Wien notlanden mußte. In Bolivien wurde das als »Entführung« verurteilt. Auch in den Nachbarländern war die Empörung groß, so daß umgehend eine außerordentliche Konferenz einberufen wurde. In der gemeinsamen Abschlußerklärung wird von den europäischen Regierungen eine Erläuterung verlangt, was die Ursachen für den Eklat gewesen sind. Auffällig war aber das Fehlen einiger Regierungen bei dem Treffen. »Es gab Länder, die sich widersetzt und diesen Präsidentengipfel blockiert haben«, kritisierte Ecuadors Präsident Rafael Correa zum Abschluß der Beratungen. Während Brasilien zumindest den wichtigsten außenpolitischen Berater von Präsidentin Dilma Rousseff, Marco Aurelio, nach Bolivien geschickt hatte, wurden in Cochabamba die Staatschefs von Peru, Chile, und Kolumbien »vermißt«, wie die staatliche bolivianische Nachrichtenagentur ABI formulierte.

Die anwesenden Staatschefs waren sich sicher, daß Washington hinter der »Geiselnahme« steckt. Die USA hätten das Gerücht über die Präsenz Snowdens gestreut und die europäischen Regierungen zu deren Schritt getrieben, hieß es. Dafür spreche auch der »bizarre« Auslieferungsantrag für Snowden, den Washington in Bolivien eingereicht hatte, während Morales noch in Wien festsaß. Der Präsident drohte deshalb am Donnerstag mit einer Schließung von deren diplomatischer Vertretung. Die ist ohnehin nur mit einem Geschäftsträger besetzt, seit der damalige Botschafter 2008 wegen Verwicklung in einen Putschversuch ausgewiesen worden war. »Wir brauchen keine Botschaft der Vereinigten Staaten«, erklärte Morales am Donnerstag bei einer Kundgebung am Rande des Gipfeltreffens in Cochabamba. »Ohne die Vereinigten Staaten stehen wir wirtschaftlich und demokratisch besser da. Ohne die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds geht es uns wirtschaftlich besser, deshalb brauchen wir sie nicht. Wir haben andere Verbündete, vor allem die Präsidenten Lateinamerikas und der Karibik.« Grund für die Attacken aus dem Norden sei, daß »Bolivien einen antiimperialistischen, indigenen Präsidenten hat, der beweisen konnte, daß er besser regieren kann, als die Neoliberalen.«

Die spanische Regierung verweigert weiter eine Entschuldigung. Nachdem Madrid zunächst abgestritten hatte, daß es überhaupt eine Überflugverweigerung gegeben habe, räumte Innenminister José Manuel García-Margallo am Freitag gegenüber dem spanischen Fernsehen TVE ein, daß eine vermutete Anwesenheit Snowdens die Ursache für den Eklat gewesen sei. Es gebe aber keinen Grund, um Verzeihung zu bitten, denn schließlich habe man der Präsidentenmaschine doch noch die Zwischenlandung erlaubt. Auf die Frage, ob es währenddessen Kontakte zwischen Washington und Madrid gegeben habe, verweigerte der Minister die Auskunft. Das sei »geheim«.

Venezuelas Präsident Nicolás Maduro, bei dessen Rückflug aus Europa es am Donnerstag zu keinen Zwischenfällen gekommen war, konterte die Haltung Madrids und warnte, wenn der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy den venezolanischen Luftraum passieren wolle, könnte Caracas dessen Maschine zum Landen zwingen und kontrollieren, » ob er Drogen oder die Euros, die er dem spanischen Volk gestohlen hat, dabei hat«. Die Tatsache, daß Gerüchte um Edward Snowden der Auslöser für den Eklat gewesen waren, kommentierte Maduro mit den Worten: »Der Imperialismus läuft Amok wegen dieses jungen Mannes, der die Wahrheit enthüllt hat, wie das nord­amerikanische Imperium versucht, die ganze Welt auszuspionieren und zu kontrollieren.« Mit Blick auf eine von Washington ebenfalls auch in Venezuela beantragte Auslieferung Snowdens sagte Maduro, die US-Administration solle erstmal den Terroristen Luis Posada Carriles überstellen. Der in Miami lebende CIA-Agent wird von der venezolanischen Justiz für den Sprengstoffanschlag auf ein kubanisches Verkehrsflugzeug verantwortlich gemacht, das am 6. Oktober 1976 aus Venezuela kommend in der Luft explodierte. 73 Menschen wurden damals getötet. Der daraufhin festgenommene und inhaftierte Posada wurde 1985 mit Hilfe des US-Geheimdienstes aus einem venezolanischen Gefängnis befreit. Eine von Caracas beantragte Auslieferung verweigert Washington bis heute.

** Aus: junge welt, Samstag, 6. Juli 2013


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