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Zwangspause

Verfassungskonvent in Bolivien setzt seine Arbeit wegen anhaltender Gewaltexzesse für einen Monat aus

Von Ben Beutler, Cochabamba *

Randalierer versuchten in Sucre, den Verfassungskonvent zu stürm Randalierer versuchten in Sucre, den Verfassungskonvent zu stürmen Der Konvent zur legislativen »Neugründung Boliviens« ist für vorerst einen Monat geschlossen worden. Die Präsidentin der in Sucre tagenden Verfassungsgebenden Versammlung, die bis zum 14. Dezember einen abstimmungsfähigen Abschlußtext vorzulegen hat, verkündete ihre Entscheidung am Freitag aus sicherer Distanz. Im über 350 Kilometer entfernten Cochabamba erklärte Silvia Lazarte, Grund seien die unsichere Situation in Sucre und die anhaltenden gewalttätigen Provokationen seitens der rechtsradikalen »Jugendunion Santa Cruz« (UJC) aus dem Osten des Landes. Diese seien laut Aussage des Regierungssprechers Alex Contreras mit der eindeutigen Absicht nach Sucre gereist »Gewalt zu schüren und die Eskalation zu suchen mit dem Ziel, die Schließung der Verfassungsgebenden Versammlung zu erreichen, um somit die Regierung des Präsidenten Morales zu destabilisieren«.

Gespannte Lage

Tatsächlich ist die Lage in Sucre gespannt. Es herrsche »ein Klima der Konfrontation, des Rassismus, der Diskriminierung und der Provokation gegenüber den sozialen Bewegungen und den Genossen vom Lande«, beschreibt Staatsminister Juan Ramón Quintana die Stimmung. Vergangenen Mittwoch hatten Studenten einer von einem regierungsfeindlichen Rektor geleiteten Universität versucht, den im Stadttheater »Gran Mariscal Sucre» tagenden Verfassungskonvent zu stürmen und in Brand zu setzen. Es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die unter Einsatz von Tränengas nur knapp ein Eindringen der Randalierer verhindern konnte. Vor dem Theater haben sich »Überwachungskomitees« positioniert, um Wahlmänner der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) zu beschimpfen und zu bedrohen. So war es in Sucre mehrmals zu rassistisch motivierten Hetzjagden auf indigene Wahlfrauen und -männer gekommen, die geschlagen und getreten wurden und die Flucht ergreifen mußten. Auch Journalisten sind vor Angriffen der »capitalinos», die für Sucre den vollen Hauptstadtstatus fordern, nicht sicher. Kameras werden entrissen, Reporter verprügelt, sobald der Verdacht besteht, sie würden nicht für die mehrheitlich gegen Morales eingestellte Presse arbeiten.

Streit um die Hauptstadt

Sucre hatte nach einem Bürgerkrieg 1899 den Hauptstadttitel an La Paz verloren. Die Hauptstadtforderung wurde vor gut zwei Monaten laut, die Vollversammlung des Verfassungskonventes hatte mit absoluter Mehrheit eine Behandlung des Themas allerdings eindeutig abgelehnt. Mehrmalige Gesprächsangebote seitens der Regierung wurden von Vertretern Sucres abgelehnt, was deren eigentliche Gründe offenbart. So dient die regionale Forderung der nationalen Opposition bis heute als wirksames Mittel eines der wichtigsten Wahlversprechen des MAS, die Ausarbeitung einer neuen Magna Charta zur Festschreibung indigener Rechte, zu blockieren. Erst vor einem Monat wurde das Mandat der Versammlung bis zum 14. Dezember verlängert. Selbst die katholische Kirche fordert die Opposition dazu auf, die Menschen nicht für ihre Ziele zu »instrumentalisieren«.

Daß die sozialen Bewegungen nicht tatenlos zusehen werden, zeigt die für Anfang der Woche angekündigte Mobilisierung von 100000 Indigenen nach Sucre. »Bis jetzt waren die indigenen Völker geduldig«, erklärt der Generalsekretär der »Einzigen Vereinigung der Arbeiter der originären Völker Chuquisacas«, Damián Condori. »Sie müssen aber wissen, daß wir eigene Selbstverteidigungskomitees vorbereiten, um uns zu verteidigen und erneut für unsere Rechte zu kämpfen.«

* Aus: junge Welt, 10. September 2007


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