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Verhandlungen in Cochabamba

Bolivien: Teilergebnisse bei Gesprächen zwischen Regierung und Opposition

Von Ben Beutler *

Seit vier Tagen verhandeln in der zentralbolivianischen Stadt Cochabamba Regierungsvertreter der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) mit den drei Präfekten des regierungsfeindlichen Bündnisses »Nationaler Demokratischer Rat (CONALDE) über einen »Nationalen Pakt«. Am Sonnabend wurden zwei vorläufige Ergebnisse präsentiert: Finanzierung einer »Rente der Würde« aus Einnahmen der Steuer auf fossile Brennstoffe sowie die Garantie der Autonomie der Departements im Rahmen einer neuen Magna Charta. Die rechten Präfekten Mario Cossío (Tarija), Rubén Costas (Santa Cruz) und Ernsto Suárez (Beni) erklärten sich auf den Verzicht von 30 Prozent der Steuereinnahmen bereit, um die monatliche Rente von 28 US-Dollar für rund 450 000 Rentner über 60 Jahre weiter sicherzustellen. Zuvor hatten sie noch die Rückzahlung von 270 Millionen US-Dollar gefordert, die die MAS ihnen »geraubt« habe. Im Gegenzug sicherte die MAS zu, die im Dezember 2007 vom Verfassungskonvent ausgearbeitete Magna Charta zur »Neugründung Boliviens« werde die departamentale Selbstverwaltung berücksichtigen. Wie weit aber die Kompetenzen der Präfekten in bezug auf die Autonomie gehen werden, blieb wie erwartet offen. Zum Stillstand kamen die Verhandlungen bei Artikel 410 der neuen Verfassung, der die Rangordnung bolivianischer Gesetze regelt. MAS und soziale Bewegungen sehen an erster Stelle die Verfassung, an zweiter Gesetze und Normen, Präsidal-Dekrete und ministeriale Resolutionen, erst an dritter das Recht der Departements. Der CONALDE will die Autonomie-Gesetzgebung schon an zweiter Stelle sehen, was Präsident Evo Morales als eine »Gefahr für die nationale Einheit« ablehnt.

Der CONALDE hatte die Tieflandregionen seit dem haushohen Sieg von Morales beim Amtsenthebungsreferendum vom 10. August mit Hungerstreiks, Straßenblockaden, der Besetzung staatlicher Behörden und der gewalttätigen Verfolgung von MAS-Anhängern an den Rand eines Bürgerkrieges manövriert. Die jetzt verhandelten Themen dienen bis heute als Vorwand, die nationale »Politik des Wandels« zu bremsen. Auch wenn die Rückkehr zum Dialog als MAS-Erfolg gewertet werden kann, so bleiben die staatlichen Behörden in Santa Cruz, Beni und Tarija weiterhin von Regierungsgegnern besetzt. »Drohungen und Angriffe gegen MAS-Anhänger halten an«, erklärte am Freitag Boliviens MAS-Kabinettschef Alfredo Rada. Die Einkesselung von Santa Cruz durch 20000 Indigene und Bauern werde darum weitergehen, so Adolfo Chávez von der »Vereinigung der indigenen Völker Boliviens (CIDOB).

Am Samstag (20. Sept.) ernannte Morales Militär-Admiral Landelino R. Arze zum Übergangspräfekten Pandos. Um seinenVorgänger Leopoldo Fernández, dem mutmaßlichen Verantwortlichen des »Massakers von Pando«, bei dem mindestens 17 Menschen von Paramilitärs ermordet wurden, ist derweil ein juristischer Kleinkrieg entbrannt. Große Teile von Boliviens Justiz sind MAS-Gegner. So hatte der von konservativen Juristen dominierte Oberste Gerichtshof die Verlegung von Fernández in die von einem regierungsfeindlichen Bündnis kontrollierte Hauptstadt Sucre angeordnet, was der mit dem Fernández-Fall beauftragte Richter ablehnte. Wichtiges Beweismaterial wurde von der Staatsanwaltschaft schon nach Sucre gebracht, die Anwältin der Opfer vermutet Verschleierung sowie Fluchtgefahr.

* Aus: junge Welt, 22. September 2008

»Ein Putsch ist unwahrscheinlich«

Mit faschistischen Schlägerbanden kämpft Boliviens Oligarchie für den Erhalt ihrer Privilegien. Doch ihr Einfluß ist begrenzt. Ein Gespräch mit Javo Ferreira **

In den letzten Wochen haben die Rechten in den Ostprovinzen Boliviens eine Gewaltwelle vom Zaun gebrochen, die sich gegen Einrichtungen der Zentralregierung, aber auch gegen die Organisationen der Massen richtete. Wie ist die Situation in diesem Moment?

Etwa drei Wochen lang konnten wir diese reaktionäre Offensive beobachten. Die Rechten besetzten staatliche Einrichtungen und Ölförderanlagen. Schlägergruppen wie die »Jugendunion Santa Cruz« (UJC) haben Terror verbreitet: durch Angriffe auf Menschen mit Aymara- oder Ketschua-Herkunft und durch die permanente Belagerung von armen Wohnviertel wie »Plan 3000« in Santa Cruz. Diese Aktionen gipfelten am Donnerstag, den 11. September, in dem Massaker von Porvenir, einem Dorf nahe der Stadt Cobija im Departement Pando. Dort wurden mindestens 20 Menschen kaltblütig ermordet.

Daraufhin rief Präsident Evo Morales den Ausnahmezustand in Pando aus. Als Reaktion auf das Massaker haben verschiedene Bauerngemeinschaften beschlossen, sich gegen die faschistoide Gewalt zu bewaffnen. Ihre Mobilisierung erzwang einen Dialog zwischen den Rechten und der Regierung, und das hat die Situation etwas entschärft.

Wie agieren die Banden wie die UJC?

Es gibt zwei Arten der Schlägergruppen: Auf der einen Seite solche wie die UJC, die von den Präfekturen und »Bürgerkomitees« finanziert werden und als regionale politische Organisationen agieren. Auf der anderen Seite gibt es professionelle Killerbanden wie in Pando, die von Oligarchen bezahlt werden und zum Teil mit dem Drogenschmuggel verbunden sind. Letztere haben das Massaker von Porvenir verübt.

Was ist die Strategie der Rechten? Wie wollen sie die Zentralregierung stürzen, ohne über nennenswerte Unterstützung im westlichen Hochland Boliviens zu verfügen?

Aus meiner Sicht war es nie das Ziel der Rechten, die Regierung mit einem auf die oppositionellen Präfekturen und »Bürgerkomitees« gestützten Staatsstreich zu stürzen. Dazu ist ihr Einfluß regional und sozial zu begrenzt -- und das wissen sie auch. Sie haben einfach versucht, Zeit zu gewinnen, um die Abstimmung über die neue Verfassung zu verzögern.

Woher kommt die Wut der Rechten gegen das Projekt von Evo Morales?

Die neue Verfassung soll für den Großgrundbesitz gewisse Obergrenzen festlegen. In einem zukünftigen Referendum soll die Bevölkerung entscheiden, ob diese Obergrenze bei 5000 oder 10000 Hektar liegen soll. Doch es gibt heutzutage Menschen in Bolivien, die mehr als 50000 oder 100000 Hektar besitzen.

Traditionell befand sich der bolivianische Staatsapparat immer in Händen einer sehr kleinen Minderheit. Evo Morales' Bewegung zum Sozialismus (MAS) strebt eine Demokratisierung an. Das mag kein »Sozialismus« sein, aber es beeinträchtigt wichtige Teile der herrschenden Klasse.

Die Gewaltorgie der Oligarchie begann fast genau 35 Jahre nach dem Militärputsch gegen Salvador Allende in Chile. Wie schätzen Sie die Möglichkeit eines Staatsstreichs in Bolivien ein?

In diesem Moment sehe ich keine Möglichkeit eines Putsches, denn es existiert ein völlig anderer internationaler Kontext. Die USA sind aufgrund ihrer Militärinterventionen in Afghanistan und Irak sehr geschwächt; aktuell machen die Nähe der Präsidentschaftswahlen und die internationale Finanzkrise eine Putschpolitik in Lateinamerika sehr viel schwieriger. Auf der anderen Seite ist die bolivianische Rechte, auf nationaler Ebene gesehen, marginal, sie hat kaum Rückhalt bei der Armee.

Am 16. September hat Evo Morales ein »Vorabkommen« mit einem Vertreter der Präfekten der abtrünnigen Ostprovinzen unterschrieben, das einen Waffenstillstand und weitere Verhandlungsrunden in den nächsten Monaten vorsieht. Wer geht aus dieser Auseinandersetzung als Sieger hervor?

Im Dialog werden die Rechten letztlich immer gewinnen. Durch Verhandlungen wollen sie ihre sogenannten »Autonomie-Statute« und die neue Verfassung kompatibel gestalten. Sie fordern Zugeständnisse beim Großgrundbesitz und bei der Kontrolle über die natürlichen Ressourcen des Landes. Das ist der Grund, warum einige Sektoren der Bauernschaft ihre Straßenblockaden nicht aufgeben wollen, wie es in der Ortschaft Yapacani der Fall ist. Das ist auch der Grund, warum die Führung der Arbeiterzentrale Boliviens COB erklärt hat, Evo solle sich lieber mit dem Volk als mit den Vertretern der oligarchischen Rechten treffen.

** Javo Ferreira ist Mitglied der Arbeiterzentrale Boliviens (COB), des bolivianischen Gewerkschaftsdachverbandes

Interview: Wladek Flakin

Aus: junge Welt, 22. September 2008




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