"Die Regierung Morales ist eine Regierung des Widerstands"
Boliviens ehemaliger Energieminister Andrés Soliz Rada über die Mühen der Exekutive
Andrés Soliz Rada (67) war von Januar bis September 2006 bolivianischer
Energieminister. Er trat zurück, weil er auf brasilianischen Druck hin
gezwungen wurde, eine Resolution außer Kraft zu setzen, durch die der
brasilianische Ölkonzern Petrobras kräftiger zur Kasse gebeten worden
wäre. Der Anwalt und Journalist war bereits bei der
Erdölnationalisierung von 1969 dabei – als Berater eines sozialistischen
Ministers, der ebenfalls am Widerstand der Multis scheiterte. Über die
Perspektiven der Regierung von Evo Morales sprach mit ihm Gerhard
Dilger.
Wir dokumentieren im Folgenden ein Interview, das am 2. Januar 2007 in
der Tageszeitung "Neues Deutschland" erschien. *
ND: Herr Soliz Rada, was heißt es, wenn die bolivianische Regierung von
»Nationalisierung« der Ressourcen redet?
Andrés Soliz Rada: Energie-Nationalisierung heißt, dass die
bolivianische Staatsfirma YPFB die Regie in der Produktionslinie von Gas
und Öl übernimmt. Die Firmen, die nach Bolivien kommen, werden für
Dienstleistungen bezahlt. Aber ihnen gehören die Rohstoffe nicht.
Wie hoch werden künftig die Staatseinkünfte sein?
Früher hatten wir auf dem Papier auch schon hohe Einkünfte, weil die
Gewinne der Konzerne mit bis zu 50 Prozent besteuert werden sollten –
bloß wurden nie Gewinne ausgewiesen. Jetzt nehmen wir real Geld ein. Der
neue Energieminister Carlos Villegas rechnet mit einem Durchschnittswert
von 70 Prozent der Bruttoerlöse, der Bolivien zugute kommen wird.
Sie sind im September als Energieminister zurückgetreten. Warum?
Ich hatte als Minister die Resolution 207 unterschrieben. Darin stand
ganz im Sinne des Nationaliseriungsdekretes vom 1. Mai, dass der
brasilianische Konzern Petrobras fortan Dienstleister, nicht mehr
Exporteur ist. Kurzum: Wir bringen den Teig zum Ofen und sind Eigentümer
des Brotes – Petrobras ist der Besitzer des Ofens und wird für das
Backen bezahlt. Nur das steht in der Resolution!
Und dann?
Unser Vizepräsident Álvaro García Linera hat Brasilien zugesichert, dass
die Resolution 207 eingefroren wird. Er hat dies entschieden, ohne mich
vorher zu konsultieren. Deshalb konnte ich nicht mehr im Amt bleiben.
Außerdem finde ich die Verträge, die Bolivien mit den Konzernen nun
abgeschlossen hat, fehlerhaft.
Warum?
Es gibt gravierende Widersprüche, vor allem in den Anhängen. So bekommen
die Multis die Möglichkeit, sich Gas- und Ölreserven an der Börse
gutschreiben zu lassen – damit wäre die Nationalisierung ad absurdum
geführt. Außerdem sollen ihnen angebliche Investitionen in Höhe von 3,5
Milliarden Dollar angerechnet werden, während es nach vorläufigen
Gutachten nicht einmal 800 Millionen waren. Und mit Brasilien ist immer
noch kein höherer Erdgaspreis vereinbart worden.
Der Jahresumsatz von Petrobras ist fünfmal so hoch wie Boliviens
Bruttoinlandsprodukt. Verhält sich die Firma in den Verhandlungen wie
ein x-beliebiger Multi?
Es ist noch schwieriger. Einmal sagen sie: Wir sind auch ein
Staatsbetrieb. Dann wieder: Wir haben doch bloß 32 Prozent der Aktien,
der Rest ist in der Hand von Privataktionären, wir müssen sie
konsultieren. Je nachdem, was ihnen besser passt, zeigen sie ihr
privates oder ihr staatliches Gesicht. Mit Konzernen wie Repsol, British
Gas und Total war es leichter. Da wusste ich wenigstens, woran ich war.
Sind Sie insgesamt mit der Haltung der Morales-Regierung zufrieden?
Ja, doch. Viele linke Kritiker übersehen, dass dies die erste
Nationalisierung im Zeitalter der Globalisierung ist. Wir haben es mit
einem sehr aggressiven Präsidenten Bush zu tun, mit europäischen
Regierungen, die ihre Firmen massiv verteidigen.
Sind Sie sicher, dass die Nationalisierung der Ressourcen Bolivien
wirklich helfen wird?
Ich hoffe es. Wir verfügen über die Rohstoffe. Wir können also mit
Explorations- und Förderprojekten beginnen, mit dem Bau von Gasleitungen
innerhalb von Bolivien, mit der Industrialisierung. Das sind die
wichtigsten Ziele der Nationalisierung. Aber wenn wir weiterhin eine
korrupte, bürokratisierte Staatsfirma haben, die von niemandem wirklich
kontrolliert wird, dann wird die Ausplünderung genau wie in den Jahren
vorher weitergehen.
Was erscheint Ihnen wahrscheinlicher?
Das hängt von der Regierung und den Bolivianern ab. Wenn wir nicht in
der Lage sind, eine starke Staatsfirma aufzubauen, dann geben wir den
Oligarchen recht, die behaupten, dass die Bolivianer unfähig sind, ihre
eigenen Angelegenheiten zu managen. Aber ich vertraue in die Fähigkeiten
Boliviens. Derzeit befinden wir uns in der Übergangsphase.
Was sind die größten Schwierigkeiten dabei?
Viele haben sich an den Einfluss der ausländischen Konzerne gewöhnt. Es
gibt zwei Arten, in Südamerika zu regieren. Am einfachsten ist es, zu
allem, was die internationalen Organisationen und die Großmächte sagen,
ja und Amen zu sagen. Schwieriger ist es, zu bekämpfen, was uns nicht nützt.
Und was tut die jetzige Regierung?
Das ist eine Regierung des Widerstandes, aber manchmal könnte der
Widerstand noch ein bisschen größer sein. Auch gegenüber Brasilien.
Wie verhält sie sich denn zu den Großprojekten der südamerikanischen
Infrastruktur-Initiative ?
Da sehe ich einen gewissen Rückschritt. Die Frage ist doch, welche Art
der Entwicklung wir wollen. Die, die wir bisher kennen, die mit
Umweltzerstörung einhergeht und einer Philosophie der Entwicklung um
jeden Preis? Oft dient ein indigenistischer Diskurs dazu, die Ausbeutung
zu verschleiern, etwa so: »Wir haben eine 500-jährige Geschichte.« Das
ist keine Garantie, du kannst dich trotzdem täuschen. Wir müssen einen
lateinamerikanischen Sozialismus anstreben, der alle Arten des
Sozialismus, die es bisher gegeben hat, hinterfragt. Wir müssen mit dem
eigenen Kopf denken.
* Aus: Neues Deutschland, 2. Januar 2007
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