Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Evo Morales spürt kräftigen Gegenwind

Bolivianische Rechte ruft zum "zivilen Widerstand" auf

Von Gerhard Dilger, Santa Cruz de la Sierra *

Boliviens Präsident hat eine Offensive gegen die Opposition gestartet. Doch die gibt sich nicht so leicht geschlagen und organisiert sich.

Über den Hauptplatz der ostbolivianischen Metropole Santa Cruz dringen revolutionäre Klänge. »El pueblo unido jamás será vencido« (»Das vereinte Volk wird niemals besiegt«) dröhnt es aus Lautsprechern. Auf Transparenten wird »Autonomie« gefordert und gegen »die kulturelle Unterwerfung« protestiert. Studenten zelebrieren in aufgeklappten Holzsärgen einen Hungerstreik. »Die Demokratie ist tot – Evo hat sie umgebracht«, erläutert ein Plakat. »Wir geben nicht auf, bis die Zwei-Drittel-Regelung in der verfassunggebenden Versammlung durchgesetzt ist«, sagt Studentenführer Roger Martínez, der es vor Monaten durch einen Aufruf zum bewaffneten Widerstand kurz zu nationaler Bekanntheit gebracht hatte.

Jetzt schwimmen Martínez und seine Mitstreiter mehr denn je im regionalen Hauptstrom. Zu verdanken haben sie dies Präsident Evo Morales, der vor einer Woche zu einer Offensive gegen die konservative Opposition ausgeholt hat. In der Hauptstadt Sucre sorgte seine Bewegung zum Sozialismus (MAS) dafür, dass sie die neue Verfassung praktisch im Alleingang ausarbeiten kann. Erst zur Verabschiedung der Endfassung soll die vorgeschriebene Zwei-Drittel-Mehrheit zum Tragen kommen. Zudem brachte Morales einen Gesetzentwurf ein, wonach die Gouverneure künftig vor dem nationalen Parlament Rechenschaft ablegen sollen und sogar abgesetzt werden könnten.

Sechs der neun 2005 erstmals gewählten Gouverneure gehören der Opposition an. Schließlich möchte die Regierung ein Gesetz zur Landreform verabschieden, das die Enteignung von Großgrundbesitz erleichtern soll. Dafür setzt sie auf die Macht der Straße: Um den widerspenstigen Senat unter Druck zu setzen, werden demnächst Tausende Kleinbauern und Indígenas im Regierungssitz La Paz einmarschieren.

Die Regierungsoffensive kommt wenige Wochen, nachdem sich die in Bolivien tätigen Energiekonzerne der »Nationalisierungsstrategie« der Regierung gebeugt und neue langfristige Verträge unterzeichnet hatten. Mit diesem Erfolg im Rücken wollte Morales die Opposition niederringen – doch mit seinem Vorgehen erreicht er eher das Gegenteil. Nach der Abstimmung in Sucre traten Oppositionspolitiker unter dem früheren Präsidentschaftskandidaten Samuel Doria Medina in den Hungerstreik, am vergangenen Dienstag demonstrierten Tausende in Santa Cruz gegen die Regierung. Das tropische Tiefland um Santa Cruz ist fest im Griff des exportorientierten Agrobusiness. Kurz darauf legten die im einflussreichen »Komitee Pro Santa Cruz« organisierten Unternehmer noch eins drauf. »Wir sind die ständigen Beleidigungen satt«, richtete sich der Vorsitzende Germán Antelo an die Regierung. »Wir sind nicht schuld an dem Hass, den Sie angeblich seit 500 Jahren mit sich herumschleppen.«

Für »Demokratie und Rechtsstaat« riefen nun auch die Cruceños der besseren Gesellschaft zum Hungerstreik auf und drohten mit Rückzug ihrer Abgeordneten aus der verfassunggebenden Versammlung. Auch anderswo gärt es: Heute wollen die vereinigte Opposition und die Gouverneure den landesweiten »zivilen Widerstand« abstimmen.

* Aus: Neues Deutschland, 27.11.2006


Zurück zur Bolivien-Seite

Zurück zur Homepage