Evo Morales spürt kräftigen Gegenwind
Bolivianische Rechte ruft zum "zivilen Widerstand" auf
Von Gerhard Dilger, Santa Cruz de la Sierra *
Boliviens Präsident hat eine Offensive gegen die Opposition gestartet. Doch die gibt sich nicht so
leicht geschlagen und organisiert sich.
Über den Hauptplatz der ostbolivianischen Metropole Santa Cruz dringen revolutionäre Klänge. »El
pueblo unido jamás será vencido« (»Das vereinte Volk wird niemals besiegt«) dröhnt es aus
Lautsprechern. Auf Transparenten wird »Autonomie« gefordert und gegen »die kulturelle
Unterwerfung« protestiert. Studenten zelebrieren in aufgeklappten Holzsärgen einen Hungerstreik.
»Die Demokratie ist tot – Evo hat sie umgebracht«, erläutert ein Plakat. »Wir geben nicht auf, bis die
Zwei-Drittel-Regelung in der verfassunggebenden Versammlung durchgesetzt ist«, sagt
Studentenführer Roger Martínez, der es vor Monaten durch einen Aufruf zum bewaffneten
Widerstand kurz zu nationaler Bekanntheit gebracht hatte.
Jetzt schwimmen Martínez und seine Mitstreiter mehr denn je im regionalen Hauptstrom. Zu
verdanken haben sie dies Präsident Evo Morales, der vor einer Woche zu einer Offensive gegen die
konservative Opposition ausgeholt hat. In der Hauptstadt Sucre sorgte seine Bewegung zum
Sozialismus (MAS) dafür, dass sie die neue Verfassung praktisch im Alleingang ausarbeiten kann.
Erst zur Verabschiedung der Endfassung soll die vorgeschriebene Zwei-Drittel-Mehrheit zum Tragen
kommen. Zudem brachte Morales einen Gesetzentwurf ein, wonach die Gouverneure künftig vor
dem nationalen Parlament Rechenschaft ablegen sollen und sogar abgesetzt werden könnten.
Sechs der neun 2005 erstmals gewählten Gouverneure gehören der Opposition an. Schließlich
möchte die Regierung ein Gesetz zur Landreform verabschieden, das die Enteignung von
Großgrundbesitz erleichtern soll. Dafür setzt sie auf die Macht der Straße: Um den widerspenstigen
Senat unter Druck zu setzen, werden demnächst Tausende Kleinbauern und Indígenas im
Regierungssitz La Paz einmarschieren.
Die Regierungsoffensive kommt wenige Wochen, nachdem sich die in Bolivien tätigen
Energiekonzerne der »Nationalisierungsstrategie« der Regierung gebeugt und neue langfristige
Verträge unterzeichnet hatten. Mit diesem Erfolg im Rücken wollte Morales die Opposition
niederringen – doch mit seinem Vorgehen erreicht er eher das Gegenteil. Nach der Abstimmung in
Sucre traten Oppositionspolitiker unter dem früheren Präsidentschaftskandidaten Samuel Doria
Medina in den Hungerstreik, am vergangenen Dienstag demonstrierten Tausende in Santa Cruz
gegen die Regierung. Das tropische Tiefland um Santa Cruz ist fest im Griff des exportorientierten
Agrobusiness. Kurz darauf legten die im einflussreichen »Komitee Pro Santa Cruz« organisierten
Unternehmer noch eins drauf. »Wir sind die ständigen Beleidigungen satt«, richtete sich der
Vorsitzende Germán Antelo an die Regierung. »Wir sind nicht schuld an dem Hass, den Sie
angeblich seit 500 Jahren mit sich herumschleppen.«
Für »Demokratie und Rechtsstaat« riefen nun auch die Cruceños der besseren Gesellschaft zum
Hungerstreik auf und drohten mit Rückzug ihrer Abgeordneten aus der verfassunggebenden
Versammlung. Auch anderswo gärt es: Heute wollen die vereinigte Opposition und die Gouverneure
den landesweiten »zivilen Widerstand« abstimmen.
* Aus: Neues Deutschland, 27.11.2006
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