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Explosiver Wahlkampf in Bolivien

Bewegung zum Sozialismus bestätigt Führungsspitze / Rechte bombt

Von Benjamin Beutler *

Auch wenn in Bolivien die heiße Phase des Wahlkampfes für die Urnengänge Anfang Dezember noch ein Stück entfernt liegen müsste, ist er bereits entbrannt: Die Rechte sorgt mit Attentaten für explosive Stimmung während die Bewegung zum Sozialismus ihre Kandidaten benennt.

Dreieinhalb Monate vor den Dezember-Wahlen haben Boliviens Präsident Evo Morales Ayma und sein Vize Álvaro García Linera ihre Kandidaturen für eine zweite Amtszeit offiziell bekannt gegeben. Auf einem Festakt am Freitag im ostbolivianischen Departamento Santa Cruz de la Sierra gab das Polit-Doppel, das seit Januar 2006 für die Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) das Andenlandes regiert, den Startschuss für den Wahlkampf. Zwei Tage zuvor war die MAS-Spitze mit Vertretern der wichtigsten sozialen Bewegungen und Gewerkschaften in der Hauptstadt La Paz zusammen gekommen, um die auf einem vorherigen Parteitag beschlossene Kandidatur zu bekräftigen. »Die Bestätigung der beiden steht außer Frage«, hob Fidel Surco, Vorsitzender des Dachverbandes der sozialen Bewegungen »Nationale Koordination für den Wandel« (CONALCAM), die ungebrochene Popularität von Morales und Linera hervor. Umfragen prognostizieren ihnen einen Wahlsieg um die 54 Prozent. »Die Gewerkschaften in jedem Departamento werden sie empfehlen«, so der Chef der mächtigen CONALCAM. Die enge Verknüpfung von Staatsmacht und Basis zeigte sich in Santa Cruz, wo die »Einzige gewerkschaftliche Konföderation der Landarbeiter Boliviens« (CSUTCB) die gestrige Wahlkampfparty der Linksregierung auf die Beine stellte.

Getrübt wurden die Feierlichkeiten durch eine Serie von Sprengstoffattentaten und Bombendrohungen. Am Mittwoch war die Ehefrau des CONALCAM-Präsidenten Surco bei einem Briefbombenanschlag lebensgefährlich am Kopf verletzt worden. »Erste Untersuchungen zeigen, dass es sich hier nicht um eine selbst gebastelte Bombe handelt«, so Guillermo Chacón von der ermittelnden Feuerwehreinheit über die Sprengladung aus Militärdynamit C-4. Die Gattin Surcos, die weiter auf der Intensivstation liegt, hatte den an ihren Mann adressierten Umschlag bei sich getragen, als er in der Gewerkschaftszentrale der »Transportunternehmer Los Yungas« in La Paz explodierte. Zwei Polizeibeamten, darunter der Chef der Hauptstadt-Polizei, wurden bei einem Entschärfungsversuch einer weiteren Briefbombe an einen bekannten Bauunternehmer ebenfalls schwer verletzt. »Ich will hier nicht spekulieren, ob das die Bürgerkomitee-Führer aus Santa Cruz oder die Söldner der oppositionellen Präfekturen waren«, äußerte sich Surco am Donnerstag weinend im Fernsehen zu möglichen Auftraggebern. Vor Demonstrationen für den vom MAS erklärten »Prozess des Wandels« erhalte er regelmäßig Drohanrufe und Mails mit Morddrohungen. Erst im April dieses Jahres war in Santa Cruz eine Gruppe von Söldnern aufgedeckt worden, die nachweislich von Boliviens rechter Tieflandopposition angeheuert worden war.

»Nachdem sie mit Amtsenthebungsreferendum und bürgerlich-präfekturalen Putsch gescheitert sind, wollen sie nun unseren Funktionären nach dem Leben trachten«, machte Präsident Morales die »gesamte Opposition« für die Attentate verantwortlich. »Bezahlte Peruaner« und »ehemalige Armee-Offiziere« versuchten, die Dezember-Wahlen zu stoppen. Präsidentschaftskandidat Oscar Ortíz nannte die Verdächtigungen »unverantwortlich« und »Verbal-Terrorismus«. Die wichtigste Oppositionspartei Podemos zeigt derweil, wie zersplittert die traditionelle Parteienlandschaft weiterhin ist. Senatspräsident Ortíz aus Santa Cruz tritt gegen seinen Parteichef und Ex-Präsidenten (2001 – 2002) Jorge »Tuto« Quiroga aus La Paz an. Mit dem Ex-Präfekten von Cochabamba Manfred Reyes Villa und Ex-Vize-Präsidenten (1993 – 1997) Víctor Hugo Cárdenas versuchen allein vier altbekannte Figuren verlorene Posten zurück zu erobern. Doch leben Boliviens Regierungsgegner in schweren Zeiten – Politikern ohne schwarz-weiß-blaue MAS-Farben hatten Indigenen-Organisationen zuletzt Zutrittsverbote für ihre Gebiete erteilt.

* Aus: Neues Deutschland, 15. August 2009


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