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Weiter gegen die Mehrheit

Bolivien: Referenden über mehr Autonomie in zwei weiteren oppositionell regierten Departements. Mindestens ein Regierungsanhänger ermordet

Von Benjamin Beutler *

Boliviens konservative Opposition setzt weiter auf Scheindemokratie: In den Departements Pando und Beni im bolivianischen Amazonasgebiet erklärten sich die Gegner der sozialistischen Regierung am Sonntag abend nach Referenden über sogenannte Autonomie-Statute zu Wahlsiegern. In beiden Regionen hätte sich an dem Tag die Mehrheit der Wähler für die neuen Landesverfassungen und somit gegen die Befugnisse der Nationalregierung von Präsident Evo Morales ausgesprochen, hieß es aus beiden Regionen. »Das Volk vom Pando hat sich gegen all jene durchgesetzt, die es daran hindern wollten, seinen Willen auf demokratischem Weg auszudrücken«, sagte der Präfekt dieser Region, Leopoldo Fernández, nach der Abstimmung. Er spielte damit auf die regierende Bewegung zum Sozialismus (MAS) an, von der die Referenden nicht anerkannt werden, weil sie gegen die Verfassung verstoßen. Auch das Oberste Wahlgericht hatte die Urnengänge verboten - organisiert wurden sie trotzdem.

Ernesto Suárez Sattori, der Präfekt vom Beni, sprach am Sonntag trotzdem von einem »historischen Tag«. Man habe »einen wichtigen Schritt hin zur Loslösung vom Zentralismus getan«, sagte der Regierungsgegner. Die MAS interpretiert das Ergebnis radikal anders: »Zu der Illegalität und Verfassungswidrigkeit kommt, daß sich die Wähler mehrheitlich enthalten haben«, erklärte Morales' Kabinettschef Alfredo Rada auf einer ersten Pressekonferenz. Dies habe die Abstimmung mit einem Autonomie-Referendum gemein, das bereits am 4. Mai im ebenfalls östlich gelegenen Departement Santa Cruz stattgefunden hatte. Auch dabei hatten die MAS und soziale Bewegungen erfolgreich dazu aufgerufen, die »illegale und separatistische« Abstimmung zu boykottieren. Ähnlich argumentierte Rada nach den neuen Referenden. Beachte man die hohe Wahlenthaltung und die Nein-Stimmen im Fall Pandos, dann ergebe sich eine Ablehnung von 56 Prozent. Im Beni biete sich ein ähnliches Bild. Die Autonomieforderungen entsprächen deswegen nicht der Meinung der Mehrheit.

Überschattet wurde der Wahlgang von gewalttätigen Auseinandersetzungen regierungsfeindlicher Autonomie-Anhänger und Sympathisanten der MAS. Zu schweren Zusammenstößen zwischen angereisten Mitgliedern der rechtsradikalen »Jugendunion Santa Cruz« (UJC) und Abstimmungsgegnern kam es, als letztere Urnen aus Wahlbüros entwendeten, um sie zu verbrennen. Daraufhin eröffneten UJC-Leute das Feuer. Nach letzten Meldungen wurde mindestens ein MAS-Anhänger getötet. Schon im Vorfeld hatte der UNO-Sondergesandte für Menschenrechte, Vergard Bye, vor einer »offenen bewaffneten Konfrontation« gewarnt. »Es könnte Tote geben«, so Bye. Der bolivianische Politanalyst Carlos Echazú Cortes sieht in den Referenden indes den verzweifelten Versuch der neoliberalen Kräfte, die Gewalt im Lande zu schüren, um Präsidenten Evo Morales zu stürzen.

* Aus: junge Welt, 3. Juni 2008


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