Urnen für die Opposition
Am Sonntag [10. August] entscheidet ein Referendum über das Schicksal von Boliviens Regierung und ihrer Gegner. Es ist auch eine Abstimmung über die "demokratisch-kulturelle Revolution"
Von Benjamin Beutler *
Wenige Tage vor dem Plebiszit über die Bestätigung oder Amtsenthebung
des bolivianischen Präsidenten, des Vizepräsidenten und acht der neun
regionalen Präfekten kam es in Bolivien erneut zu gewalttätigen
Auseinandersetzungen. Am Dienstag (5. August) waren unweit der 2007 verstaatlichten Mine Huanuni bei einem Polizeieinsatz gegen Bergarbeiter zwei
Demonstranten getötet worden, mindestens 30 wurden verletzt.
Die Regierung wehrte sich umgehend gegen den Versuch der Opposition, die
Proteste in der Referendumskampagne für sich zu nutzen. »Kein einziger
Polizist trug beim Einsatz Waffen bei sich«, entgegnete Alfredo Rada,
Kabinettschef aus der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS) auf die
Meldung, ein Opfer sei einer Schußwunde erlegen. »Wir glauben, daß die
Unverantwortlichkeit einiger Gewerkschaftsführer zu diesen bedauerlichen
Vorfällen geführt hat«, so Rada weiter.
Auch Präsident Evo Morales beschuldigte die Gewerkschaft COB der
Eskalation. Kurz vor der Volksbefragung spiele sie der konservativen
Opposition in die Hände. »Die COB sollte sich nicht zum Instrument der
Rechten machen lassen«, warnte Morales. Und: Das bolivianische Volk
lasse sich nicht verwirren. Fidel Surco, Präsident der
»Gewerkschaftlichen Vereinigung der Siedler Boliviens« (CSCB) forderte
die COB gar auf, ihre Führung abzusetzen. »Eine kleine Gruppe will die
Macht in der COB übernehmen, was zu einer internen Krise geführt hat«.
Den Exchef Jaime Solares verdächtigte er der Korruption: »Solares hat
Gelder von der US-Botschaft, von (der staatlichen
Entwicklungsorganisation, d. Red.) USAID und den oppositionellen
Präfekten erhalten«.
COB-Funktionär Felipe Machaca hingegen schob der MAS den Schwarzen Peter
zu: »Schließlich untersteht die Polizei ihr und dem Innenministerium.
Das alles erinnert uns sehr an neoliberale Zeiten«. Der COB gehen die
Reformen unter Morales, die sich bisher im Rahmen geltenden Rechts
bewegen, indes nicht weit genug. Morales sei »revisionistisch« und ein
»Agent der US-Konzerne«, heißt es von ihrer Seite.
Kurz vor dem Referendum wird die MAS-Regierung so schmerzlich an ihr
Wahlversprechen erinnert, die Erfüllung der »Oktober-Agenda« 2003:
totale und entschädigungslose Verstaatlichung der natürlichen Ressourcen
wie Erdgas, Erdöl, Mineralien und Land, also Enteignung sowohl der
Großgrundbesitzer im Tiefland als auch der multinationalen Unternehmen
wie Respol (Spanien) und Petrobras (Brasilien). Anlaß der Konfrontation
zwischen einem Teil der Gewerkschaftsbewegung und der Regierung ist die
COB-Forderung nach einem neuen solidarischen Rentenmodell mit einem
Eintrittsalter von 55 Jahren. Doch die Regierung hält weiter an den
privaten Pensionsfonds der 90er Jahre fest, allerdings unter staatlicher
Kontrolle. Morales setzt damit weiter auf einen »Sozialismus auf
demokratischem Weg«.
Und natürlich kamen die Attacken auch von rechts. Am Dienstag (5. Aug.) mußte ein Treffen von Morales mit Venezuelas Staatsoberhaupt Hugo Chávez und
Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández nahe der Stadt Tarija aus
Sicherheitsgründen abgesagt werden. Regierungsgegner hatten das
Tagungshotel besetzt, nur knapp konnte die Okkupation des Flughafens
verhindert werden.
Medial groß in Szene gesetzt haben sich auch Rubén Costas, Präfekt von
Santa Cruz, und der Vorsitzende des »Bürgerkomitees Pro Santa Cruz«,
Branko Marinkovic. Vergangenes Wochenende traten beide in einen
»unbegrenzten Hungerstreik«. Sie fordern eine Rückzahlung der »Steuer
auf die fossilen Brennstoffe«, die die MAS teilweise zur Zahlung
monatlicher Zusatzrenten verwendet. Das Referendum erklärten sie derweil
als »illegal«. Abstimmen wollen sie dennoch.
Tatsächlich sitzen die Präfekten von Santa Cruz, Tarija, Beni, Pando und
weiterer oppositionell regierter Departments nicht gerade fest im
Sattel. Während Umfragen für Morales eine Wiederholung seines
54-Prozent-Erfolges von 2005 voraussagen, gilt eine Abberufung von
Manfred Reyes (Cochabamba), Leopoldo Fernández (Pando) und des
Konservativen José Paredes (La Paz) als wahrscheinlich. Das Oberste
Nationale Wahlgericht hatte nach einer Boykottdrohung seiner regionalen
Zweigstellen das Abstimmungsreglement sogar zugunsten der Präfekten
geändert. Nicht die Wahlergebnisse 2005 entscheiden am Sonntag (sie
liegen zwischen 36 und 48 Prozent), sondern die 50-Prozent-Hürde.
Sprechen sich mehr oder gleich die Hälfte der Wähler gegen ihren
Präfekten aus, folgen ebenfalls Neuwahlen.
Worum es in Bolivien neben der Kontrolle über Land, Gas und Öl noch
geht, zeigt einer der jüngsten Vorfälle. In Sucre, wo am
Nationalfeiertag, dem 3. August, traditionell die jährliche
Regierungserklärung abgegeben wird, verweigerten Morales-Gegner dem
»Indio« den Zutritt zur Stadt. Der bekannte uruguayische Autor Eduardo
Galeano unterstreicht darum die Symbolkraft des ersten indigenen
Präsidenten Südamerikas: »Der von Evo angeführte Wandel ist grundlegend.
Nicht nur für Bolivien, sondern für den Rest der Welt, die noch immer an
einer Krankheit leidet, die selten beim Namen genannt wird: Rassismus«.
* Aus: junge Welt, 9. August 2008
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