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Boliviens Revolution auf dem Prüfstand

Von Benjamin Beutler *

Von Evo Morales will mit nach Sieg beim Referendum sozialen Reformen fortsetzen

Von Benjamin Beutler *

Die Politik von Boliviens Präsident Evo Morales ist durch ein Referendum klar bestätigt worden. Hochrechnungen zufolge gewannen Morales und Vizepräsident Álvaro García Linera die Volksabstimmung am Sonntag (10. August) über ihren Verbleib an der Regierung mit gut 62 Prozent. Allerdings wurden auch die oppositionellen Gouverneure der Provinzen Santa Cruz, Pando, Beni und Tarija deutlich in ihren Ämtern bestätigt.

Zwei Tage nach dem Urnengang, bei dem Boliviens Wähler über die Zukunft ihres politischen Personals zu entscheiden hatten, zeichnet sich eine Verfestigung des Machtpatts zwischen Zentralstaat und oppositionellen Regionsverwaltungen ab. Erste Prognosen vom Sonntagabend erklären Evo Morales Ayma und dessen Vize Álvaro García Linera mit über 60 Prozent der über vier Millionen abgegebenen Stimmen für im Amt bestätigt. Ihren Posten behalten dürfen neben den zwei Präfekten der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) aus Potosi und Oruro auch die vier regierungsfeindlichen Präfekten im Tiefland. Ihre ebenfalls oppositionellen Amtskollegen Manfred Reyes Villa des zentralbolivianischen Departamentos Cochabamba sowie José Luis Paredes aus La Paz müssen hingegen ihren Schreibtisch räumen. Erst am Mittwoch wird mit einem amtlichen Endergebnis gerechnet.

Mehr als 54 Prozent der Wähler (es besteht Wahlpflicht) hätten sich für eine Abwahl von Morales und dessen Vize aussprechen müssen. Als Marke galt der historische 54-Prozent-Wahlsieg, der den Aymara-Indígena Morales im Dezember 2005 zum ersten indigenen Präsidenten Lateinamerikas machte. Für die Präfekten galt eine einheitliche 50-Prozent-Hürde als entscheidend.

In einer Rede kurz nach Bekanntgabe erster Ergebnisse erklärte sich Morales zum Sieger der Abstimmung. »Bolivien hat zum Ausdruck gebracht, dass es den Prozess des Wandels tatsächlich will. Wir werden die natürlichen Ressourcen weiter zurückerobern und die Verstaatlichungen vorantreiben.« Dem politischen Gegner zollte er Respekt: »Wir anerkennen den Rückhalt, den die Präfekten erhalten haben.«

Dabei hatte er in einer Wahlkampfrede Tage zuvor deutlich gemacht, für welche Politik die konservativen Präfekten stünden: »Mario Cossío aus Tarija, wer war er? Vorsitzender der Abgeordnetenkammer zu Zeiten der neoliberalen Regierung 'Goni' de Lozada. Leopoldo Fernández war Senator und Minister von Ex-Präsident Jorge 'Tuto' Quiroga. Wer war Manfred Reyes aus Cochabamba? Verbündeter von 'Goni' und 'Tuto', Teil der neoliberalen Mannschaft von damals.« Sie seien »Repräsentanten des alten, neoliberalen Modells«.

Morales sah in der Abstimmung eine Gelegenheit, das Machtpatt zwischen Zentralregierung und den regierungsfeindlichen Regionalfürsten auf demokratischem Wege zu brechen. Nur zwei der neun Präfekturen sind von MAS-Leuten geführt, zu schwach aufgestellt war man bei der 2005 zeitgleich zur Präsidentenwahl abgehaltenen Präfektenkür. Trotz Abwahl der zwei Gouverneure aus Cochabamba und La Paz ist der erhoffte Befreiungsschlag weiter ausgeblieben.

Und so stemmen sich oppositionelle Landesfürsten weiter mit Händen und Füßen gegen die »demokratisch-kulturelle Revolution«. Nach seinem Amtsantritt 2006 machte sich Morales schnell an die Umsetzung der Wahlversprechen: Verstaatlichung des Gas- und Ölgeschäfts, Wahl einer Verfassungsgebenden Versammlung und Ausarbeitung einer neuen Magna Charta als Verfassungsentwurf, eine Landreform. Hatte die Rechte wenig einzuwenden gegen die Mai 2006 dekretierte Teilverstaatlichung der Förder-, Produktions- und Transportkette fossiler Brennstoffe, die den Präfekturen Mehreinnahmen um das Siebenfache verschaffte, so sind ihre Interessen durch die bis heute ausstehende Ratifizierung der Dezember 2007 ausgearbeiteten Verfassung gefährdet. Maßnahmen wie Anti-Korruptions-Politik, Stärkung der Rechte der indigenen Bevölkerungsmehrheit, neue wirtschaftliche Führungsrolle des Staates und Einführung einer Höchstgrenze von Landbesitz ängstigen die aus Latifundisten, Exportunternehmern und Berufspolitikern bestehende Elite zutiefst.

Um den vom MAS vorangetriebenen Wandel zu bremsen, ließ sie sich von einer von den sozialen Bewegungen auf der Straße praktizierten Strategie inspirieren: die Blockade. Auf Departamentsebene wuchs ein Machtgegengewicht, das permanent gegen die Zentralregierung mobilisiert. Ideologisch wurde der historische Konflikt zwischen »colla«-Andenländern und »camba«- Tieflandbewohnern (siehe Kasten) angeheizt, gefordert wird »Autonomie von der Missbrauch treibenden Staatsdiktatur«.

Der mit über 60 Prozent im Amt bestätigte Präfekt des wirtschaftlich prosperierenden Santa Cruz de la Sierra, Rubén Costas, ging inzwischen unmittelbar zum Angriff über. Der »MASStaatsterrorismus « sei verantwortlich für »Tod, Gewalt und Konfrontation«, allein die Anfang Mai per Referendum angenommenen Autonomie-Statuten, die »der Katechismus des gläubigen Volkes von Santa Cruz« seien, brächten den »wahren Wandel«. Morales geht schwierigen Zeiten entgegen.

* Aus: Neues Deutschland, 12. August 2008

Boliviens Zerreißprobe

Von Benjamin Beutler **

Bolivien ist territorial-geistig gespalten. Nichts anderes legen die Ergebnisse der Referenden nahe. Im Hochland hat Präsident Evo Morales an Zustimmung gewonnen. Dasselbe gilt jedoch für die ihn erbittert bekämpfenden Gouverneure im Tiefland. Die Multi-Kulti-Gesellschaft der oft nur als »Andenland« wahrgenommenen Nation steht vor einer Spaltung.

Seit der demokratischen Machtübernahme des ersten indigenen Präsidenten Morales vor gut zwei Jahren erlebt Bolivien eine Umwälzung Jahrhunderte alter Gewissheiten: Nicht mehr die hellhäutige Minderheit bestimmt die Spielregeln des trotz seines Naturreichtums ärmsten Landes Südamerikas. Es sind die verabscheuten »schmutzigen Indios«.

Der alten Elite bleibt nicht viel: Bei so viel Legitimität und Legalität setzt sie auf das Zündeln an der Einheit der seit 1825 unabhängigen Republik. Ohne Skrupel spielen sie Ressentiments gegen alles Indigene und den Zentralstaat aus. Die Rechnung geht dank »medialen Terrors« (Uruguays Schriftsteller Eduardo Galeano) auf, einer von ihnen wirtschaftlich abhängigen Bevölkerung versprechen sie den »wahren Wandel«. Die feudalistischen Tieflandregionen bleiben in fester Hand einer Elite. Den Prozess des Wandels zu festigen, wie es Morales nach dem Wahlsieg versprochen hat, bleibt angesichts des Machtpatts eine immens schwierige Aufgabe. Lohnenswert ist sie allemal.

** Aus: Neues Deutschland, 12. August 2008 (Kommentar)




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