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Provinzfürsten stur

Bolivien stimmt am 23. Januar über neue Verfassung ab. Regierungsfeindliche Opposition verweigert Dialog

Von Benjamin Beutler *

Boliviens in den reichen Provinzen des Tieflands ansässige Opposition setzt weiter auf absolute Blockade. Am Freitag wiesen die Departamento-Präfekten Rubén Costas (Santa Cruz), Mario Cossío (Tarija), Ernesto Suarez (Beni) und Savina Cuellar (Chuquisaca) einstimmig eine Einladung von Staatspräsident Evo Morales zurück. Dieser hatte die reaktioären Regionalfürsten im Rahmen seiner alljährlichen Regierungserklärung Ende des Jahres zu Gesprächen nach La Paz eingeladen, um über die bevorstehende Umsetzung von Provinzautonomien zu beraten.

»Es beginnt jetzt eine neue Etappe -- die Umwandlung vom neoliberalen zum plurinationalen Staat ist so gut wie abgeschlossen«, verwies Morales auf das bevorstehende Verfassungsreferendum zur »Neugründung Boliviens«. Über 4,1 Millionen Bolivianer sind am 23. Januar aufgefordert, über die im Dezember 2007 vom Verfassungskonvent redigierte und im Oktober 2008 vom Kongreß abgeänderte Magna Charta abzustimmen. Eine Verfassungsneuerung wird die Einführung weitreichender Selbstverwaltungen sein, zum einen auf Ebene der neun Departamentos, aber im Rahmen »indigener autonomer Gebiete« auch für die indigene Bevölkerung (65 Prozent) Boliviens.

Mit ihrer Verweigerung des Dialogs würden die Präfekten »mit den Gefühlen des Volkes spielen«, so Jorge Silva von der Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS). Schließlich seien Dezentralisierung und Autonomie programmatische Forderungen gewesen, die die MAS-Gegner nach Morales' Wahlsieg (54 Prozent) 2005 ganz oben auf ihre Fahnen geschrieben hatten. »Und jetzt wollen sie die Autono­mien blockieren und am Dialog nicht teilnehmen«, wundert sich Silva.

»Wohin soll das führen? Zur einer De-facto-Autonomie, die das Land spaltet?«, fragt sich auch MAS-Parlamentarier Gustavo Torrico. Arbeitsminister Walter Delgadillo sieht in der Blockadehaltung vor allem die politische Führungsschwäche regionaler Eliten. »Die Autonomie-Präfekten haben in der Vergangenheit durchaus wichtige Siege errungen. Jetzt stehen sie bei der Bevölkerung in der Pflicht, müssen zeigen, wie sie die gewünschte Selbstverwaltung umzusetzen gedenken«, so Delgadillo.

La Paz hatte die Präfekturen zuletzt wiederholt gerügt, öffentliche Gelder nicht in regionale Projekte wie Straßenbau und Bildung investiert zu haben. Dank der Vertragsverhandlungen der Morales-Regierung mit internationalen Öl- und Gas-Multis hatten sich die Steuereinnahmen der Präfekturen seit 2006 mehr als verdreifacht. Die neue Magna Charta sieht für die Departamentos in Zukunft über 60 Kompetenzen vor, behält dem Zentralstaat jedoch weiter die wichtigsten 36 (u.a. Landvergabe, Öl, Gas, Steuern) vor. Doch die Tiefland-Oligarchie will mehr. Vor allem fürchtet sie eine Umverteilung der riesigen Latifundien im Osten des Landes. Knapp hundert Familien besitzen in Bolivien über 90 Prozent nutzbaren Bodens.

In seiner Regierungsbilanz hatte Präsident Morales auch eigene strategische Fehler eingeräumt. So habe man »Investitionen in den Energiesektor vernachlässigt«. Auch gelte es, korrupte Funktionäre zu entfernen. Die Demokratie in Bolivien sei aber stärker denn je: »Wir leben in Lateinamerika nicht mehr in Zeiten der Staatsstreiche«.

* Aus: junge Welt, 5. Januar 2009


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