90 Prozent Beteiligung
Bolivien: Endergebnisse der Volksabstimmung vorgelegt. Breite Zustimmung für Verfassung bestätigt
Von Benjamin Beutler *
Knapp eine Woche nach dem Referendum vom 25. Januar und nach der Auswertung von 99 Prozent der landesweiten Resultate bestätigte am Freitag das Oberste Nationale Wahlgericht (CNE) Boliviens die breite Zustimmung für die neue Verfassung. Danach fielen von insgesamt 3504708 landesweit abgegebenen Stimmen 61 Prozent (2062024 Stimmen) auf das Ja zur Annahme der neuen Magna Charta. 38 Prozent (1292260 Stimmen) sprachen sich gegen das von Präsident Evo Morales und der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) unterstützte Projekt aus. Vier Prozent (150424 Stimmen) der Wähler hatten den Stimmzettel entweder unausgefüllt oder ungültig in die Urnen der 22049 Wahllokale geworfen. Mit 90 Prozent Stimmabgaben wurde ein Teilnahmerekord in der demokratischen Geschichte des Landes erreicht, in dem die Wahlpflicht gilt.
Das »Si« gewann in den von MAS-Präfekten regierten Departamentos La Paz (78 Prozent mit 885513 Stimmen), Cochabamba (64 Prozent mit 401837 Stimmen), Potosí (70 Prozent mit 190517 Stimmen), Oruro (73 Prozent mit 128911 Stimmen) sowie knapp im von der Opposition regierten Chuquisaca (51 Prozent mit 92069 Stimmen). Das »No« erreichte Mehrheiten in den oppositionellen Departamentos Santa Cruz (65 Prozent mit 479066 Stimmen), Tarija (56 Prozent mit 83359 Stimmen), Beni (67 Prozent mit 69 482 Stimmen) und – entgegen erster Prognosen kurz nach der Abstimmung – auch im vom Militär verwalteten Pando (59 Prozent mit 14 995 Stimmen).
Bei dem dazu zeitgleich durchgeführten Referendum für eine zukünftige Begrenzung von Landbesitz waren 80 Prozent der 2422466 gültigen Stimmen (1954018 Stimmen) für die Einführung einer 5000-Hektar-Obergrenze, nur 19 Prozent für die 10000-Hektar-Variante. 1078944 Wähler (30 Prozent), vor allem in der von Großgrundbesitzern dominierten Oppositionshochburg Santa Cruz, drückten ihre Ablehnung des Vorschlages dadurch aus, daß sie ungültig abstimmten. Insgesamt jedoch ist am 61-Prozent-Sieg nicht zu rütteln – schließlich wurde eine Zwei-Drittel-Mehrheit nur knapp verfehlt.
* Aus: junge Welt, 31. Januar 2009
Streit in Bolivien um neue Magna Charta
Oberstes Gericht bestätigt Verfassungsannahme
Von Benjamin Beutler **
Eine Woche nach dem Verfassungsreferendum werden heute die amtlichen Endergebnisse der
Auszählung bekannt gegeben. In La Paz bestätigen die vom Obersten Nationalen Wahlgericht
(CNE) errechneten Zahlen erwartungsgemäß die Zustimmung von 61 Prozent für das von der
regierenden »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) unterstützte Verfassungsprojekt zur rechtlichen
»Neugründung Boliviens«. Gegen den Vorschlag sprachen sich 38 Prozent der Wahlbeteiligten aus.
Der Unterschied zwischen »Ja« (2,06 Mio. Stimmen) und »Nein« (1,29 Mio. ) beim
Verfassungsreferendum war deutlich, wobei die meisten Ablehnungen aus den bevölkerungsreichen
Departamentos La Paz und Cochabamba (westliches Hochland) sowie Santa Cruz (östliches
Tiefland) kamen. Geografisch gesehen siegten die Befürworter in fünf der neun Provinzen. Zur
Ratifizierung reichte aber ohnehin die absolute Mehrheit aller abgegebenen Stimmen. So wurde
erstmals in der Geschichte Boliviens eine Verfassung auf demokratischem Wege angeschoben und
und angenommen. Die vorgelegte Magna Charta war von einem 2006 gewählten
Verfassungskonvent nach knapp anderthalbjähriger Arbeit Ende 2007 fertig redigiert und vom
Kongress Ende 2008 abschließend modifiziert worden.
Bei der zeitgleichen Volksbefragung zur maximalen Obergrenze für Landbesitz, bei der die
Stimmberechtigten zwischen einem 5000- und einem 10 000-Hektar-Limit wählen konnten,
entschieden sich jetzt bei einer Rekordwahlbeteiligung von 90 Prozent 80 Prozent der Wähler für die
kleinere Option.
Während Regierung und soziale Bewegungen kommenden Samstag in der verarmten Millionen-
Stadt El Alto Feierlichkeiten zur Einführung der neuen Verfassung unter anderem mit Ecuadors
Präsident Rafael Correa planen, hat Boliviens Tiefland-Opposition schon Widerstand angekündigt.
Der rechte Führer und Vorsitzende des Unternehmerbündnisses »Komitee Pro Santa Cruz«, Branko
Marinkovic, interpretiert das Wahlergebnis nach eigener Logik: »Fast die Hälfte des Landes« habe
dagegen gestimmt. Ohne die durch Betrug geraubten Stimmen »hätte das Nein gewonnen«, rechnet
Multimillionär und Großgrundbesitzer Marinkovic die Zahlen um und ignoriert die Äußerungen
internationaler Wahlbeobachter aus der EU, den USA und von der »Organisation Amerikanischer
Staaten« (OAS), dass es sich um eine »faire Wahl« gehandelt habe. Nur ein »sozialer Pakt«
zwischen MAS und Opposition könne »den Frieden garantieren«, so seine Drohung an Präsident
Morales. Die Verfassung müsse nachverhandelt werden, um die Regierbarkeit und Einheit des
Landes zu erhalten, heißt es im rechten Lager.
Dem widersprach Boliviens Vizepräsident Álvaro Garcá Linera. Die Verfassung gelte national, für
alle Bolivianer. Marinkovics Vorschlag eines »Boliviens der zwei Visionen« auf föderaler Grundlage,
um so den »kommunitären Sozialismus der MAS mit der Autonomie der Regionen« miteinander zu
vereinbaren, wies er als »sezessionistisch« zurück.
** Aus: Neues Deutschland, 2. Februar 2009
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