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Auf eigenen Beinen

Boliviens aktive Wirtschaftspolitik provoziert Widerstand. Unternehmervertreter fordern mehr Subventionen für den Privatsektor

Von Benjamin Beutler *

Für Boliviens Wirtschaftsminister Luis Arce ist alles klar. Der Markt habe wiederholt gezeigt, daß er Probleme in Gesellschaft und Wirtschaft nicht lösen kann, sagte der Ökonom am Wochenende in einem Radiointerview. Eine »Rückkehr zum Neoliberalismus« werde es daher mit der von Präsident Evo Morales geführten Regierung auf keinen Fall geben, stellte Arce in Richtung Opposition klar. Diese stemmt sich momentan mit viel Gezeter und einer Flut von Expertisen marktradikaler Wissenschaftler vehement gegen die von der Regierung angeschobene Abkehr des auf Rohstoff-Verkauf getrimmten Exportmodells im Andenland.

Die Wirtschaft des zehn-Milllionen-Einwohnerstaates brummt wie nie. Rekordsteuereinnahmen aus der boomenden Gas- und Bergbaubranche und ein vor Kraft strotzender Binnenmarkt lassen die Staatskassen klingeln. Trotz erhöhter Ausgaben für Sozialprogramme wird Morales’ Haushaltspolitik mittlerweile sogar vom Internationalen Währungsfonds ein verantwortlicher Umgang mit dem neuen Reichtum bescheinigt. Seit der Nationalisierung der Bodenschätze 2006 auf den Konten der Zentralbank in La Paz über elf Milliarden US-Dollar an internationalen Devisenreserven angehäuft. 2011 beliefen sich die Rücklagen auf über 53 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung, womit Bolivien in ganz Lateinamerika auf Platz eins rangiert.

Über die Verwendung der Devisen ist nun eine heftige Diskussion entbrannt. Die regierende Bewegung zum Sozialismus (MAS) will endlich weg von der Jahrhunderte alten Rolle des billigen Rohstofflieferanten. Die Opposition wünscht sich dagegen eine Förderpolitik der alten Art. Vergangene Woche hatte das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Einrichtung eines Entwicklungsfonds vorsieht. »Die finanzierten Unternehmen sind auf die Transformation des Produktionssektors ausgerichtet, welche notwendigerweise die Industrialisierung der Bodenschätze sowie der Nahrungsmittel einschließt«, heißt es in der Norm. Insgesamt 1,2 Milliarden US-Dollar sollen noch in diesem Jahr fließen. Die Hälfte des Geldes geht in Textilfabriken, Milchabfüllanlagen und Eisengießereien mit staatlicher Beteiligung. Aber auch private Unternehmen sollen Zuwendungen erhalten.

Gegen eine ausgiebige Subventionspolitik hat auch Boris Gómez Uzqueda keine Einwände. Im Gegenteil: Der Berater ausländischer Energiemultis fordert sogar die Hälfte der Devisenreserven für staatliche Wirtschaftsförderung auszugeben. Allerdings soll das Geld seiner Meinung nach ausschließlich in private Unternehmen fließen, vor allem in diejenigen der Enegriebranche. »Staat als Unternehmer«, schimpfte Gómez kürzlich in der Tageszeitung Opinión, würde »für die private Industrie einen ungesunden Wettbewerb zementieren«. Die Sorge der Wirtschaftselite ist verständlich. Bis zu Morales Amtsantritt Anfang 2006 wurde Boliviens Ökonomie von einer Handvoll Familien dominiert. Das von der MAS proklamierte »neue produktive, soziale und kommunitäre Modell«, ein Nebeneinander von Staat, Privatwirtschaft und traditionell-indigenen Genossenschaften, sorgt für ungeliebte Konkurrenz. Gegründet werden Papier- und Zuckerfabriken, eine staatliche Lebensmittelkette oder eine Telefongesellschaft. Auch der Betrieb des staatseigenen Erdöl- und Erdgasunternehmens YPFB läuft inzwischen weitgehend störungsfrei, ausländische Investoren stehen Schlange.

* Aus: junge Welt, 21. März 2012


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