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Neuer Weg in die Zukunft

Die Organisation Mosoj Yan will jungen Frauen in Bolivien Perspektiven verschaffen

Von Knut Henkel *

Innerfamiliäre Gewalt und Zwangsprostitution sind in Bolivien recht weit verbreitet. Einen Ausweg zeigt die Herberge »Albergue de Restauración« Mädchen und jungen Frauen in Cochabamba auf.

»Direkt intervenieren dürfen wir nicht. Zu uns kommen die Mädchen und jungen Frauen erst, wenn die Defensoria (Menschenrechtsstelle) das verfügt«, erklärt Florentino Gorena. Der 46-Jährige ist der Direktor der »Albergue de Restauración« (Herberge der Wiederherstellung), die in einem ruhigen Wohnviertel von Cochabamba liegt. Das heißt Queru Queru und dort wurde 1997 die Einrichtung eröffnet, die mit jungen Mädchen und Frauen arbeitet, um ihnen den Weg in eine neue Zukunft zu eröffnen.

»Mosoj Yan« heißt so viel wie neuer Weg auf Quechua, der in Cochabamba weit verbreiteten indigenen Sprache. »Mosoj Yan« heißt auch die 1991 gegründete christliche Organisation, die jungen Frauen und Kindern neue Perspektiven vermitteln will und die Herberge betreibt. »Wir versuchen den Mädchen und Frauen Angebote zu machen, hier können sie lernen wie man Kuchen, Keks- und Brotspezialitäten backt, wie man näht und Mode gestaltet oder Haare schneidet. Auch ein Kosmetikkurs bieten wir an«, erklärt Direktor Gorena, der zugleich auch protestantischer Pastor ist und nunmehr im 17. Jahr in der Einrichtung arbeitet. »Alle Mädchen, die zu uns kommen, werden von der Defensoria zu uns geschickt. Deren Experten für Kinder- und Jugendrecht haben dann schon untersucht, weshalb sie das Elternhaus verlassen sollten«, so Gorena. Das kommt häufig vor, denn innerfamiliäre Gewalt und Zwangsprostitution sind in Bolivien alles andere als selten. »Rund um die Avenida Roma im Zentrum Cochabambas boomt das Geschäft mit der Prostitution. Da gibt es auch viele Minderjährige«, berichtet Gorena und zieht die Augenbrauen mahnend in die Höhe. Zu wenig wird da getan, ist er sich sicher.

Mehr Aktivitäten gegen die Prostitution Minderjähriger wünscht sich der evangelische Geistliche, der von Privathäusern weiß, wo Minderjährige angeboten werden. Einige der derzeit zwölf Mädchen und jungen Frauen, die derzeit in der Herberge leben, haben derartige Erfahrungen hinter sich, wurden im Extremfall vom eigenen Vater missbraucht und anschließend angeboten. »Derartige Fälle landen immer wieder bei uns, denn wir sind die einzige Einrichtung mit diesem Profil«, erklären Gorena und die Psychologin der Einrichtung Gladys Flores einmütig.

Zwei Sozialarbeiter, ein Lehrer und mehrere Freiwillige von der Uni in Cochabamba bilden das Team, zu dem hin und wieder auch Freiwillige aus dem Ausland stoßen. Über den entwicklungspolitischen Freiwilligendienst »Weltwärts« auch aus Deutschland, so Flores. Insgesamt 22 Plätze hat die Herberge, deren Ziel es ist, die jungen Frauen wieder zurück in einen »normalen« Alltag zu führen. Ein Modell, das gut funktioniert, aber chronisch knapp bei Kasse ist.

Dabei versucht das Team um Gorena, den Kontakt zu den Familien wieder aufzubauen. Das ist zwar nicht immer möglich, glückt aber in vielen Fällen zumindest zu den Müttern. Bei Jacqueline Rodríguez war es unmöglich. Sie hat eine Ausbildung zur Schneiderin gemacht und steht seit Januar auf eigenen Füssen. Die 17-Jährige wurde in ein Konfektionsatelier vermittelt und steht nun auf eigenen Füssen. Das Ziel hat auch Giovanna, die gerade ihr Abitur nachgeholt hat und an der Universität von Cochabamba Sozialarbeit studieren will, um Mädchen zu helfen, denen es genauso erging wir ihr. Geschlagen hat sie ihr Vater, sie für vieles, was im Haus nicht klappte, verantwortlich gemacht und sie immer wieder zum Arbeiten angetrieben.

Vielen der Mädchen fällt es schwer über die eigene Vergangenheit zu sprechen. »Die eigene Familie aufzugeben, mit ihr abzuschließen, tut weh«, erklärt Psychologin Gladys Flores. Sie ist dafür verantwortlich, die Bewohnerinnen der Herberge wieder aufzurichten und das funktioniert relativ gut. Vor einem Monat wurden neun junge Frauen entlassen, denn die Herberge bietet ihre Unterstützung nur bis zum 18. Lebensjahr an. Dann heißt es Abschied nehmen und auf eigenen Beinen stehen, so die Leitlinie von »Mosoj Yan«.

»Ziel ist es, dass die jungen Frauen dann eine Option für die Zukunft haben. Ein Handwerk erlernt haben, von dem sie leben können oder sich selbstständig machen«, erklärt Direktor Florentino Gorena. Der vermittelt Kontakte zu Betrieben, kümmert sich auch um die Startfinanzierung in die Selbstständigkeit und hat aber auch immer wieder mit Finanzengpässen zu kämpfen. Die bolivianischen Behörden kommen nur für direkte Versorgung der jungen Frauen auf, für die psychologische Betreuung, die Ausbildungs- und Schulunterstützung ist »Mosoj Yan« auf internationale Spenden und Kooperationen angewiesen.

Das funktioniert längst nicht immer, so Pastor Gorena. »Ende letzten Jahres war unser Etat erschöpft und wir haben unentgeltlich gearbeitet«, erklärt er schulterzuckend und schreitet durch den Innenhof des geräumigen Hauses von »Mosoj Yan«. Von oben ist das Kichern mehrerer Teenager zu hören, die auf dem Balkon in der Sonne stehen. Bei einer der drei jungen Mädchen wölbt sich der Bauch, was sie mit einem Handtuch halbherzig zu kaschieren sucht. Sie wird länger in der Herberge von »Mosoj Yan« bleiben.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 1. April 2014


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