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Trägt das Volk ihn auf den Gipfel?

In Bolivien stehen die Präsidentschaftskandidaten fest / Evo Morales ist klarer Favorit

Von Benjamin Beutler *

In Bolivien wollen fünf Parteien im kommenden Oktober in den Regierungspalast und ins Parlament einziehen. Präsident Evo Morales liegt bei Umfragen für das höchste Staatsamt weit vorn.

Die heiße Wahlkampfphase steht bevor: Drei Monate vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen haben Boliviens politische Parteien ihre Kandidaten bekannt gegeben. Mitte der Woche war die Registrierungsfrist beim Obersten Wahlgericht in La Paz abgelaufen.

Die linksgerichtete Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus (MAS) verlässt sich weiter auf ihr Erfolgsduo, das seit neun Jahren unangefochten im Regierungssitz Palacio Quemado den Ton angibt. Wie bei den gewonnenen Wahlen von 2005 und 2009 schickt die »Partei der sozialen Bewegungen« Politstar Evo Morales ins Rennen. Für das mächtige Vizeamt tritt der zweite Mann im Regierungspalast an, der Intellektuelle und ehemalige Guerillero Álvaro García Linera.

Für Senat und Abgeordnetenkammer seien mehrheitlich frische Gesichter aus Basisbewegung, Bauernvertretungen und Gewerkschaften aufgestellt worden. »Hat ein Genosse die Hände in den Schoß gelegt oder seine Arbeit nicht gut gemacht, kann er nicht wieder aufgestellt werden. Die Organisationen haben hier sehr genau hingeschaut«, erklärt die MAS-Vizepräsidentin Concepción Ortiz die Qualitätskontrolle.

Programmatisch geht es bei der MAS weiter wie bisher: Das Land setzt auf Wirtschaftswachstum durch Rohstoff-, Gas- und Agrarexporte. Diese Politik hat auch den Binnenmarkt gestärkt: Der Verbrauch wurde durch die annähernde Verdreifachung des Pro-Kopf-Einkommens von 2005 bis 2014 beflügelt. Statt 1010 Dollar hat ein Bolivianer nun im Schnitt 3000 Dollar pro Kopf und Jahr zur Verfügung. Der Staat selbst investiert in den Ausbau von Infrastruktur, in Bildung und Gesundheit sowie die Armutsbekämpfung durch Sozialprogramme und verteilt Land an landlose Bauern. So konnte die soziale Ungleichheit vermindert werden.

Größter Herausforderer der MAS-Hegemonie ist das Mitte-Links-Bündnis Bewegung ohne Angst (MSM). Der ehemalige Bürgermeister von La Paz und einstige MAS-Verbündete Juan del Granado und die frühere MAS-Abgeordnete Adriana Gil aus dem konservativ geprägten Tiefland von Santa Cruz hoffen auf enttäuschte MAS-Wähler. Beste Angriffsflächen bieten Korruption und Regierungsstil der erfolgsverwöhnten MAS, die nach den Wahlen 2009 nicht nur die Regierung stellt, sondern auch das Parlament mit Zweidrittel-Mehrheit dominiert. Doch könnte Gil der Glaubwürdigkeit der städtisch geprägten MSM mehr schaden als nützen. Nach ihrem Bruch mit der Regierungspartei war sie 2009 mit dem damaligen Präfekten von Cochabamba Manfred Reyes angetreten. Der Rechtskonservative flüchtete nach seiner Wahlschlappe vor der Justiz in die USA. Der Vorwurf bis heute: Korruption und Veruntreuung von Steuergeldern.

Auf der rechten Seite der politischen Bühne versucht es nach 2005 und 2009 im dritten Anlauf der Unternehmensmillionär Samuel Doria Medina. Seine 2003 gegründete wirtschaftsliberale Nationale Union (UN) ging in letzter Minute ein Bündnis mit der frisch gegründeten Partei der konservativen Tieflandelite, den Demokraten (D) um den Präfekten von Santa Cruz, Rubén Costas, ein. Für das Vizeamt hat diese Demokratische Einheit (UD) den Präfekten des Departamentos Beni, Ernesto Suárez, aufgestellt.

Zuvor waren Verhandlungen um einen Einheitskandidaten der Opposition am Machtwillen der Oberschichtenpolitiker gescheitert. Und so tritt Boliviens neo-konservativer Altpräsident Jorge Quiroga Ramírez (2000-2002) mit der indigenen Abgeordneten Yarhui Tomasa an. Der politische Ziehsohn des früheren Diktators und Präsidenten Hugo Bánzer schart in seiner neu gegründeten Christdemokratischen Partei (PDC) mehrheitlich Politiker sichernder politischer Kräfte um sich. Seine 2005 gegründete PODEMOS-Partei ist eine davon.

Für das grün-ökologische Lager kandidiert der Tieflandindigenen-Aktivist Fernando Vargas. Er organisierte 2011 und 2012 die Protestmärsche gegen den Bau einer Straße durch das Indigene Schutzgebiet Isiboro Sécure (TIPIS). An seiner Seite tritt die Soziologin Mary Margot Soria Saravia an. Die Akademikerin hatte erklärt, dass Nichtregierungsorganisationen aus den Vereinigten Staaten und Europa hinter der Partei stünden. Das kam in Bolivien nicht gut an.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 19. Juli 2014


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