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Lula setzt auf die atomare Karte

Weiterbau des AKW Angra 3 soll Brasiliens Energiehunger stillen

Von Jürgen Vogt *

Nach 21 Jahren Stillstand will Brasiliens Regierung ein altes Energieprojekt aus der Zeit der Militärdiktatur realisieren: das Atomkraftwerk Angra 3. Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat am Dienstag den Weiterbau des Atomkraftwerkes Angra 3 in Auftrag gegeben. Beim Besuch eines Technologiezentrums der Marine setzte er noch eins drauf: Brasilien werde für den Bau eines Atom-U-Bootes in den nächsten acht Jahren gut eine Milliarde Real (knapp 400 Millionen Euro) ausgeben.

Brasilien hatte im Mai 2006 mit der Urananreicherung begonnen und strebt nach eigenen Angaben danach, den Brennstoffkreislauf zu schließen. Lula hatte sich schon in der Vergangenheit mehrfach für die Nutzung der Atomenergie eingesetzt. Der Nationale Energierat sprach sich Ende Juni für die Fertigstellung von Angra 3 aus, was jetzt vom Präsidenten bestätigt wurde. Das AKW soll bis 2013 zu Ende gebaut werden und dann 1350 Megawatt Strom liefern. Die Kosten des Projektes werden auf rund 3 Milliarden Euro geschätzt.

Dem Energierat gehören neun Ministerien an. Einzig das Umweltministerium stimmte gegen das Vorhaben. »Für die Atomenergie besteht keine Notwendigkeit«, sagte Ministerin Marina Silva. »Mit Biomasse, Wasserkraft und Solarenergie können wir die Energieprobleme lösen.«

Der Anteil der Erneuerbaren an der Energieproduktion liegt in Brasilien mit gut 40 Prozent deutlich über dem weltweiten Durchschnitt von 15 Prozent. Drei Viertel des Stroms werden aus Wasserkraft gewonnen. Zudem fahren brasilianische Autos seit Jahrzehnten mit Biotreibstoff. Der Anteil der Energieerzeugung durch Atomkraft liegt dagegen unter zwei Prozent.

Die Umweltministerin erteilte jetzt sogar unter Auflagen eine vorläufige Genehmigung für den Bau von zwei umstrittenen Staudämmen am Rio Madeira, dem wichtigsten Amazonas-Zufluss. Geplant sind hier zwei Wasserkraftwerke mit jeweils mehr als 3000 Megawatt Leistung. Aber Brasiliens Energiehunger wird sich damit nicht stillen lassen. Die Wirtschaft ist im Aufschwung, und in der Konsequenz wächst der Energiebedarf. Beim argentinischen Nachbarn werden der Industrie seit Winteranbruch bereits zeitweise Strom und Gas abgestellt. »Wenn die Wirtschaft jährlich fünf Prozent wachsen soll, müssen wir den Investoren versichern können, dass in Brasilien ab 2012 kein Energiemangel mehr herrschen wird. Bis dahin ist dies garantiert, aber danach müssen wir mehr produzieren«, sagte Lula Anfang Juni.

Nach dem Willen des Präsidenten der staatlichen Atomfirma Electronuclear, Otho Luiz Pinheiro, sollen sogar acht AKW bis 2030 gebaut werden. Die Partnerfirma beim Weiterbau ist die Atomfirma Areva, ein Gemeinschaftsunternehmen der französischen Framatome und der deutschen Siemens. Die Siemenstochter Kraftwerk Union (KWU) hatte bereits Brasiliens zweites AKW gebaut – Angra 2 war im Jahre 2000 nach 25 Jahren Bauzeit mit 1275 Megawatt Leistung ans Netz gegangen.

Der Bau von Angra 3 war 1984 begonnen und zwei Jahre später eingestellt worden. Seither lagern die Bauteile tropenfest verpackt und verursachen jährliche Kosten von knapp 15 Millionen Euro. Das Projekt war Teil eines 1975 unterzeichneten Atomabkommens zwischen der Bundesregierung und der Militärdiktatur in Brasilien.

Deutsche Umweltorganisationen hatten die Bundesregierung bereits im März zur Förderung alternativer Energien in Brasilien aufgerufen. Bundespräsident Horst Köhler war vor seiner Brasilien-Reise Anfang März in einem offenen Brief aufgefordert worden, das Atomabkommen mit dem südamerikanischen Land durch eine Kooperation im Bereich der erneuerbaren Energien zu ersetzen, worauf sich beide Länder bereits 2004 geeinigt hätten. Die Bundesregierung kann sich in diesem Fall aber leicht aus der Affäre ziehen: Areva gilt dank der Minderheitsbeteiligung von Siemens als französisches Unternehmen.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Juli 2007


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