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"In Brasilien wird fröhlich weitergemacht"

Ausstieg aus der Atomkraftnutzung? Berlin fördert AKW-Neubau. Technischer Stand von 1985. Gespräch mit Christoph von Lieven


Christoph von Lieven ist Atomexperte bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace.

In Brasilien befindet sich das Atomkraftwerk Angra 3 an der »grünen« Südküste Rio de Janeiros im Bau. Sie haben aktuell darauf hingewiesen, daß das mit deutscher Hilfe geschieht. Wie geht das vonstatten?

Schon der Atommeiler Angra 2, der ebenfalls an dieser Küste steht, wurde mit deutscher Technologie, nämlich aus dem Hause Siemens, errichtet. Genauso stammen die Maschinenteile für Angra 3 von Siemens, diese wurden bereits 1985 geliefert und warten seither darauf, verbaut zu werden. Es schien lange so, also hätte sich das Projekt erledigt, weil die damalige brasilianische Regierung das nationale Atomprogramm eingestellt hatte. 2007 beschloß dann das Kabinett Lula da Silvas, den AKW-Bau wieder voranzutreiben. Die Arbeiten wurden 2010 wieder aufgenommen, allerdings nicht durch Siemens, sondern das deutsch-französische Atomenergieunternehmen Areva NP.

Mit freundlicher Unterstützung durch die Bundesregierung ...

Richtig, Schwarz-Gelb hat Areva im Jahr 2010 eine sogenannte Hermesbürgschaft im Unfang von 1,3 Milliarden Euro zur finanziellen Absicherung des Projekts bewilligt. Das Geld würde für den Fall fließen, daß der Auftraggeber seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt.

Und beim Bau kommt die alte Siemens-Technik zum Einsatz?

Genau das ist ja so skandalös. Die betreffende Anlage wäre hierzulande nicht mal mehr genehmigungsfähig. Die Planungen gehen auf die 70er Jahre zurück. Erst am Donnerstag hat die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung verkündet, die Atomkraft sei nicht beherrschbar. Offenbar mißt sie dabei mit zweierlei Maß: In Deutschland wird abgeschaltet, aber woanders darf fröhlich weitergemacht werden mit der Hochrisikotechnologie – und noch mit finanzieller Absicherung aus Deutschland. Wenn das keine Doppelmoral ist!

Wie stehen die Einheimischen zu dem Projekt?

Es gibt eine starke Gegenbewegung und massive Proteste. Die brasilianische Regierung vertritt aber den Standpunkt, daß alles, was »Made in Germany« ist, auch sicher sein muß, zumal ja auch Angra 2 mit Siemens-Technik zum Laufen gebracht wurde. Dazu muß man wissen: An dem Kraftwerk wurde 25 Jahre lang gebaut, bis es endlich in Betrieb gehen konnte. Das ist ein hochgefährlicher Pannenreaktor, der wegen zahlloser Probleme immer wieder stillgestanden hat.

Problematisch ist wohl auch die geographische Lage von Angra 3.

Der Standort befindet sich an einer Flußmündung und – wie schon Angra 1 und 2 – direkt am Meer. Dazu ist es auch noch ein erdbebengefährdetes Gebiet. Das alles sind Bedingungen, die stark an Fukushima erinnern. So ein AKW dürfte heute nirgendwo in Europa errichtet werden. Die Sicherheitsstandards in Brasilien sind lächerlich niedrig, es gibt keine unabhängige Atomaufsicht.

Sie fordern den umgehenden Ausstieg Deutschlands aus der Förderung von Nuklearexporten. Haben Sie die Regierung damit schon konfrontiert?

Der deutsche Botschafter in Brasilien hat sich am Mittwoch geweigert, eine entsprechende Petition anzunehmen. Es gab außerdem verschiedene Anfragen seitens der Opposition, die aber von der Regierung allesamt abschlägig beschieden wurden. Allerdings erfolgten diese Initiativen vor Fukushima. Es bleibt zu hoffen, daß unter dem Eindruck dieser Katastrophe vielleicht doch noch ein Sinneswandel eintritt.

Was könnte passieren, wenn die Regierung die Hermesbürgschaft für Angra 3 tatsächlich für nichtig erklärt?

Damit wäre das Projekt massiv in Frage gestellt. Selbst die an der Finanzierung beteiligten französischen Banken haben ihre finanziellen Zusagen für die Dauer einer neuerlichen Überprüfung der Sicherheitslage vor Ort zunächst zurückgezogen.

Wenn die deutsche Wirtschaftspolitik aus der Förderung von Nuklearexporten aussteigen soll, müßte das dann nicht auch für deutsche Unternehmen gelten? Aktuell schickt sich beispielsweise RWE an, ganz groß ins Atomgeschäft in den Niederlanden einzusteigen. Das wäre natürlich der einzig richtige und konsequente Schritt, wenn man es mit dem Ausstieg wirklich ernst meint. Das allerdings ordnungspolitisch in einen gesetzlichen Rahmen zu packen, dürfte in unserer Marktwirtschaft ziemlich schwerfallen.

Interview: Ralf Wurzbacher

* Aus: junge Welt, 11. Juni 2011


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