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Brasilien entlässt Außenminister

Bolivien kritisierte Fluchthilfe der Botschaft

Von Martin Ling *

Es ist ein unerhörtes Vorkommnis zwischen zwei sich wohlgesinnten Ländern: Mit Hilfe eines Diplomaten der brasilianischen Botschaft in La Paz war der in Bolivien mit Haftbefehl gesuchte oppositionelle Senator Roger Pinto Molina am Wochenende in einer geheimen Operation von Bolivien nach Brasilien geschleust worden.

Pinto, ein Gegner des linksgerichteten bolivianischen Präsidenten Evo Morales, hatte sich vor rund 15 Monaten in die brasilianische Botschaft in La Paz geflüchtet. In Bolivien war er unter anderem wegen Korruption zu einem Jahr Haft verurteilt worden.

Wenig verwunderlich bezeichnete die bolivianische Regierung die Flucht als Affront und legte Protest ein. Brasilien habe internationales Recht gebrochen, kritisierte Außenminister David Choquehuanca. Gegen den Senator lägen mehrere Haftbefehle vor.

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff sei über die Operation erbost gewesen und habe sie als »Desaster« bezeichnet, berichtete die brasilianische Zeitung »O Globo«. Die Staatschefin sei erst nach der Ankunft des bolivianischen Senators informiert worden. Auf den diplomatischen Zwist reagierte sie prompt: Als neuen Außenminister ernannte sie UN-Botschafter Luiz Alberto Figueiredo. Dessen Posten in New York übernimmt der bisherige Chefdiplomat Antonio Patriota. Patriota trat am Montagabend als Minister zurück und zog damit die Konsequenz aus einer Affäre, die die Beziehungen zwischen Brasilien und Bolivien schwer belastet hat.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 28. August 2013


USA-affin

Antonio Patriota muss seinen Job als Außenminister Brasiliens aufgeben **

Antonio Patriota zur UNO, Luiz Alberto Figueiredo zum Außenminister. Mit dieser Personalrochade will Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff den diplomatischen Zwist mit dem kleinen Nachbarland Bolivien beilegen, der sich seit dem vergangenen Wochenende entzündet hat. Stein des Anstoßes: die Flucht des rechten bolivianischen Oppositionspolitikers Roger Pinto Molina aus La Paz nach Brasilien mit Hilfe der brasilianischen Botschaft, in der sich Pinto seit 15 Monaten aufhielt, um sich der Strafverfolgung durch die bolivianischen Behörden zu entziehen.

Der am 27. April 1954 in Rio de Janeiro geborene Antonio Patriota war zwar nicht operativ an der Fluchtaktion beteiligt, die der brasilianische Geschäftsträger in La Paz, Eduardo Saboia, mit seinem Diplomatenwagen in Begleitung von Marinesoldaten abwickelte. Aber als Chef des Außenministeriums trägt er die politische Verantwortung. Und da Boliviens von Evo Morales geführte Linksregierung in Person ihres Außenministers David Choquehuanca ausgesprochen indigniert reagierte, musste Brasilien etwas tun, um das Verhältnis zu Bolivien wieder zu glätten. Daran ist Brasilia gelegen, weil das Land große wirtschaftliche Interessen am kleinen Nachbarn hat und brasilianische Investoren dort massiv ins Erdgasgeschäft, aber auch in die Landwirtschaft eingestiegen sind.

Brasiliens sozialdemokratische Präsidentin Dilma Rousseff soll nicht vorab informiert gewesen sein und laut der Zeitung »O Globo« die Operation als »Desaster« bezeichnet haben. Patriota, der an der Universität in Genf Philosophie studiert hat, kam ihr mit seinem Rücktritt entgegen. Dabei hatte Rousseff ihn 2011 bei ihrem Regierungsantritt berufen, damit er sich einer besonderen Sache annimmt: dem Werben Brasiliens um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Patriota gilt nämlich als den USA gewogen. Insofern ist durch die Personalrochade fürs Erste größerer Flurschaden vermieden worden. Patriota geht als UN-Botschafter nach New York, um dort weiter zu werben, und der bisherige UN-Botschafter Figueiredo beerbt ihn als Außenminister. Quasi Kontinuität im Wechsel.

Martin Ling

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 28. August 2013


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