"Lula regiert nur für die Eliten"
Bischof Dom Luiz Cappio kritisiert mangelnde Armutsbekämpfung in Brasilien *
Bischof Dom Luiz Cappio (63) gehört dem Franziskaner-Orden an und ist Bischof von Barra, einer armen Gegend am Rio Sao Francisco im Nordosten Brasiliens. Seit 1992 kämpft er mit den Indigenen für den Erhalt des Flusses, der nach dem Willen der brasilianischen Regierung umgeleitet werden soll. Am 9. Mai 2009 erhielt Bischof Cappio für sein Engagement den Kant-Weltbürgerpreis. Mit ihm sprach für das Neue Deutschland (ND) Karin Leukefeld.
ND: Für Ihr Engagement zum Erhalt des Rio São Francisco haben Sie den Kant-Weltbürgerpreis von der Freiburger Kantstiftung erhalten, herzlichen Glückwunsch! Was bedeutet der Preis für Sie?
Dom Luiz Cappio: Den Preis zu erhalten war eine große Freude. Die Philosophie Kants ist ein Plädoyer für die universalen Menschenrechte. Doch der Preis ist nicht nur eine Auszeichnung für mich, sondern für alle Bewohner des Flusstals, für die Indigenen, die humanitären und Umweltschutzgruppen und kirchliche Organisationen, die sich mit mir zusammen für den Fluss einsetzen.
Ihre bisherigen Proteste, darunter auch zwei Hungerstreiks, blieben von der Regierung ungehört. Erste Baumaßnahmen haben unter dem Schutz des Militärs begonnen, war Ihr Kampf umsonst?
Nein, der Kampf war nicht umsonst. Die breite Öffentlichkeit, die durch die Proteste entstanden ist, hat das Projekt und die Illegalität des Projektes in der ganzen Welt bekannt gemacht. Noch wichtiger ist, dass sich die verschiedensten sozialen und gesellschaftlichen Gruppen zusammen gegen das Projekt gewehrt haben. Es ist ein Erfolg, dass mein Protest zu dieser Einheit beigetragen hat.
Die Regierung von Lula da Silva wurde als Hoffnungsträger gewählt, warum hört der Präsident nicht mehr auf die Proteste der Menschen, die ihn gewählt haben?
Das fragen wir uns auch in Brasilien. Gerade die marginalisierten Schichten und der Nordosten Brasiliens haben zur Wahl von Lula da Silva beigetragen. Doch nachdem er an die Macht gekommen ist, hat er angefangen, den Armen den Rücken zuzukehren. Heute regiert er nur noch für die Eliten. Mit Sicherheit wird Druck auf ihn ausgeübt, auch international. Aber gerade weil er so eine große Unterstützung vom Volk hatte, hätte er die besten Voraussetzungen gehabt, für das Volk zu regieren. Wir haben ein Sprichwort in Brasilien: Wenn du einen Menschen wirklich kennenlernen willst, gibt ihm Geld und Macht.
Die Regierung sagt, von der Umleitung des Flusses profitieren Millionen Menschen, die bisher kaum Wasser haben ...
Ich werfe der brasilianischen Regierung eine verlogene Propaganda vor, das Projekt basiert auf einer Manipulation. Es wird so dargestellt, als käme es 12 Millionen Menschen zugute. Aber im vergangenen Jahr haben Regierungsvertreter in einer öffentlichen Anhörung im Senat selber gesagt, dass die Umleitung vor allem der wirtschaftlichen Entwicklung dienen soll. Es geht um reine Wirtschaftsförderung.
Wie würde sich das Projekt auswirken?
Zum einen wird es eine umfassende Abholzung geben und zwar in einem Gebiet, das für seine vielfältige Vegetation bekannt ist. Das wird zu Trockenheit führen. Die örtliche Bevölkerung muss den Umbaumaßnahmen weichen, eine massive Umsiedlung steht bevor. Drittens sind Gebiete der indigenen Bevölkerung betroffen. Laut Verfassung müsste der Kongress entscheiden, wenn ein Projekt das Siedlungsgebiet der indigenen Bevölkerung betrifft. In der Verfassung steht auch, dass Wasser zuerst der Trinkwasserversorgung dienen muss und nicht der wirtschaftlichen Nutzung. Dieses Projekt verstößt gegen die Verfassung.
Welche Bedeutung hat Ihr Kampf im Nordosten von Brasilien für Europa?
Wir leben heute in einer globalisierten Welt. Man kann weder die Probleme noch die Lösungen isoliert betrachten, man muss es im weltweiten Zusammenhang sehen. In Deutschland und im Europaparlament wird gerade über die Quote zur Beimischung von Agrotreibstoff diskutiert. Wenn es dazu kommt, wird das direkte Auswirkungen auf Brasilien und unser Flusstal haben, weil dort das Ethanol produziert wird, das dem Treibstoff beigemischt wird. Das Konsummodell des Nordens hat direkte Auswirkungen in den Ländern des Südens. Die brasilianische Regierung hört nicht auf die Forderungen des eigenen Volkes. Wenn der Druck aber von außen kommt, zum Beispiel aus Deutschland oder Europa, reagiert die Regierung sehr sensibel.
* Aus: Neues Deutschland, 16. Juni 2009
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