Ölmilliarden für Zuckerrohrsprit
In Brasilien entstehen zahllose neue Plantagen und Ethanolfabriken
Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro *
Internationale Investoren sorgen in Zentralbrasilien für einen wahren Zuckerrohr- und Ethanolboom.
Umweltschützer warnen.
Die indische Brechnuss, Jatropha curcas, ist out; Zuckerrohrethanol ist in. So zumindest sieht es der
britische Erdölkonzern BP, der nun aus einem Joint Venture mit dem Unternehmen D1 ausgestiegen
ist, das 220 000 Hektar Jatropha-Biodieselplantagen in Afrika und Asien umfasst. British Petroleum
investiert stattdessen in großem Maßstab in Zuckerrohrplantagen und Ethanolfabriken in Brasilien.
In den kommenden zehn Jahren sollen sechs Milliarden US-Dollar in das brasilianische
Biospritbusiness gepumpt werden. Die erste Milliarde ist für den Ausbau von Plantagen und
Ethanolproduktion im zentralbrasilianischen Bundesstaat Goiás vorgesehen.
Doch dafür erntet BP heftige Kritik von Umweltschützern. Die hier wie Pilze aus dem Boden
schießenden Zuckerrohrplantagen gingen zu Lasten der Nahrungsmittelproduktion, warnt »Rettet
den Regenwald« in einer E-Mail-Aktion. »Während die Front der Rinderzüchter und Sojafarmer
weiter nach Norden in die Cerrado-Savanne und Regenwaldgebiete getrieben wird, dehnt sich die
grüne Zuckerrohrwüste in Goiás bereits auf 458 000 Hektar aus. Etwa 60 000 Hektar davon gehen
auf das Konto von BP's Ethanolraffinerie.« Auch die Landpastorale kritisiert in einer aktuellen Studie:
»Außer der Zerstörung von Urwald, vor allem Cerrado, übernahm die Zuckerrohrindustrie Flächen
zur Nahrungsmittelproduktion und Rinderweiden, was konsequenterweise zum Voranschreiten der
Agrarfront nach Amazonien führt.«
Die Präsidentin des Instituto Sociedade, População e Natureza (ISPN), Andréa Lobo, ist besorgt
über die unkontrollierte Ausweitung der Ethanolplantagen in den Cerrado-Regionen. Die Zerstörung
schreite mit einer Geschwindigkeit von etwa 22 000 Quadratkilometern pro Jahr voran, kritisiert die
Anthropologin. Selbst für Biodiversität und Naturschutz extrem wichtige Gebiete seien bedroht. »Die
Abholzung des Cerrado für Zuckerrohr schädigt direkt die ländlichen Bevölkerungen, die von der
nachhaltigen Nutzung der Biodiversität des Cerrado leben«, so Lobo.
In Goiás stehen laut offiziellen Zahlen schon 27 Ethanolfabriken. Weitere 28 Raffinerien sind bis
2012 geplant. Insgesamt liegen der Landesregierung 97 neue Ethanolprojekte zur Prüfung auf
steuerliche Vergünstigungen vor.
Hauptgrund für den Boom in den Cerrado-Regionen von Goiás, Mato Grosso do Sul und Minas
Gerais sind Umweltschutzgesetze, die lediglich Papiertiger sind, sowie ausreichende
Wasservorkommen. Auf die für den Maschineneinsatz tauglichen ebenen Flächen haben vor allem
internationale Investoren ein Auge geworfen. Denn statt auf menschliche Arbeitskraft – wie in den
traditionellen Zuckerrohrregionen in Südost- und Nordostbrasilien noch üblich – setzen die neuen
Ethanolbarone wie BP auf weitgehende Mechanisierung, um sich nicht dem Vorwurf ausbeuterischer
Niedriglöhne aussetzen zu müssen. Laut Konzerninfo werde die erste Ernte in der kommenden
Saison – geschätzte 2,4 Millionen Tonnen Zuckerrohr – zu 100 Prozent mit Maschinen eingefahren.
Doch mit der Industrialisierung von Zuckerrohranbau und Ernte wird der Teufel mit dem Beelzebub
ausgetrieben. Denn trotz aller berechtigter Kritik an oft sklavenähnlichen Bedingungen ist die
saisonale Arbeit auf den Zuckerrohrfeldern für hunderttausende Brasilianer die einzige
Erwerbsquelle. Die Mechanisierung sei »ein Weg ohne Rückkehr«, meint Sérgio Prado, Direktor der
Zuckerrohrethanolindustrie in der Region Ribeirão Preto.
* Aus: Neues Deutschland, 22. September 2009
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