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Streit um Geld

Brasilien hat die Neuverteilung der Erdöleinnahmen beschlossen

Von Andreas Knobloch *

Rio de Janeiros Gouverneur ­Sérgio Cabral (PMDB) sieht die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 2014 sowie der Olympischen Spiele 2016 in der Stadt ernsthaft gefährdet. Die in der vergangenen Woche vom Kongreß beschlossene Neuverteilung der Erdöleinnahmen bedeute einen Verlust von 4,6 Milliarden Reais (rund 1,75 Milliarden Euro) jährlich für seinen Bundesstaat. Dies bringe Rio de Janeiro an den Rande des finanziellen Bankrotts. »Der Gesetzentwurf erzeugt einen Zusammenbruch der öffentlichen Finanzen des Bundesstaates. Der Staat wird die Olympischen Spiele und die Weltmeisterschaft nicht ausrichten, seine Beamten, Pensionäre, Rentner nicht mehr auszahlen können«, so Cabral schwarzmalerisch.

Das Gesetz war mit einer breiten Mehrheit von 286 zu 124 Stimmen vom Kongreß verabschiedet worden, nachdem zuvor bereits der Senat zugestimmt hatte. Nach der neuen Rechtslage erhalten die erdölfördernden Bundesstaates künftig weniger Geld und müssen die Gewinne mit den restlichen Bundesstaaten teilen. Davon sind vor allem Rio de Janeiro und Espíritu Santo betroffen, an deren Küste sich rund 80 Prozent der bekannten Erdölvorkommen befinden. Bisher galt eine proportionale Verteilung, nach der sie das größte Stück vom Kuchen erhalten. Die Neuverteilung versucht, einen besseren finanziellen Ausgleich zwischen allen Regionen des Landes herzustellen, unabhängig davon, ob sie Erdöl produzieren oder nicht.

Nach Ansicht Cabrals ist das verfassungswidrig. Auch der Gouverneur von Espíritu Santo, Renato Casagrande, zeigte sich überzeugt, daß der Gesetzestext so nicht bestehen bleibe und Präsidentin Dilma Rousseff wie angekündigt ihr Veto einlegen werde. Andernfalls kündigte er Verfassungsklage an.

Der Gouverneur von Ceará, Cid Gomes, dagegen verteidigte das Projekt: »Es ist Ausdruck der Mehrheit des Kongresses, der Mehrheit der Regierungen der Bundesstaaten und der Mehrheit der Gemeinden.« Er werde Druck ausüben, daß die Präsidentin kein Veto einlege. Sollte sich Rio wirklich nicht in der Lage sehen, die Spiele und die WM auszurichten, sei Ceará bereit einzuspringen, so Gomes.

Doch das Thema ist noch komplexer, als es zunächst den Anschein hat, denn indirekt geht es auch um die Bildungsreform. Der sogenannte Nationale Bildungsplan (Plano Nacional de Educação, PNE) sieht vor, die Ausgaben für Bildung in den nächsten zehn Jahren zu verdoppeln. Dem hat der Kongreß bereits zugestimmt. Die Abstimmung im Senat steht noch aus. Woher das Geld dafür kommen soll, ist allerdings unklar. Nach Vorstellungen der Regierung sollte der PNE zu 100 Prozent aus den Erdöleinnahmen finanziert werden. Dies hat der Kongreß abgelehnt, ohne jedoch eigene Vorschläge zu unterbreiten.

Finanzminister Guido Mantega wird in der Tageszeitung O Globo zitiert, daß die Regierung wenig Sympathien für das Gesetz habe, es aber noch keine Strategie für das weitere Vorgehen gebe. Dabei ist die Situation zu guten Teilen selbst verschuldet. Im Hinblick auf die Verteilung der Erdöleinnahmen war alles ruhig – bis im Jahr 2010 mitten im Wahljahr der bis dahin regierende Präsident Luiz Inácio Lula da Silva beschloß, die bestehende Regelung anzutasten, um seine Kameraden in der Arbeiterpartei (PT) und der verbündeten Parteien zufrieden zu stellen.

Seitdem sind fast zwei Jahre vergangen – mehr als genug Zeit für die Regierung, um für einen Ausgleich der verschiedenen Interessen zu sorgen. Nun steht die Präsidentin vor der Aufgabe, entweder ein Komplett- bzw. zumindest Teilveto einzulegen oder andere Finanzierungsmöglichkeiten für die Bildungsreform zu suchen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 16. November 2012


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