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Vorwurf der Korruption

Brasilien: Erster Schuldspruch im Prozeß gegen Exregierungsmitglieder

Von Andreas Knobloch *

Im größten Korruptionsprozeß in der Geschichte Brasiliens ist der erste Schuldspruch gefällt worden. Der frühere Kongreßpräsident und eine der wichtigsten Figuren der regierenden Arbeiterpartei (PT), João Paulo Cunha, wurde von den Richtern des Obersten Gerichts der Unterschlagung öffentlicher Gelder, Geldwäsche und passiver Korruption für schuldig befunden. Zusammen mit Cunha wurden der PR-Manager Marcos Valerio und seine Geschäftspartner Cristiano Paz und Ramón Hollerbach sowie der frühere Marketingdirektor der Banco de Brasil, Henrique Pizzolato, verurteilt. Das Strafmaß wird erst am Ende des gesamten Prozesses festgelegt werden. Die Staatsanwaltschaft beantragte mehrjährige Haftstrafen.

Die Verurteilung Cunhas könnte Signalwirkung für den weiteren Prozeßverlauf haben. Einen solchen »Dominoeffekt« befürchtet auch die Führungsspitze der PT. Am Ende könnte eine Reihe hochrangiger Politiker der Partei ins Gefängnis wandern. Insgesamt müssen sich seit Anfang August 36 Angeklagte vor Gericht verantworten, darunter der frühere Kabinettschef José Dirceu, Exparteichef José Genoino, der frühere Schatzmeister Delúbio Soares sowie weitere Mitglieder der ehemaligen Regierung Luiz Inácio Lula da Silva. Ihnen wird vorgeworfen, ein ausgeklügeltes Bestechungssystem von Parlamentariern mit regelrechten monatlichen »Gehaltszahlungen« betrieben zu haben. Mit Spannung wird vor allem der Prozeß gegen Dirceu erwartet, der als Kopf des Korruptionsschemas gilt und immer noch einer der einflußreichsten Politiker innerhalb der PT ist. Der als »Mensalão«-Affäre bekanntgewordene Skandal hatte 2005 fast die Regierung Lula zu Fall gebracht. Bis zur Anklageerhebung dauerte es sieben Jahre.

Expräsident Lula selbst ist nicht unter den Beschuldigten. In einem Interview mit der New York Times hatte er in der vergangenen Woche erklärt, er glaube nicht, »daß es den ›Mensalão‹ gegeben hat«. Seine Partei habe Stimmenkäufe nicht nötig gehabt. Er werde jedoch das Urteil des Obersten Gerichts akzeptieren. Jilmar Tatto, der Fraktionsführer der PT, nannte den Korruptionsprozeß die »größte Marketinggeschichte in der jüngeren Geschichte Brasiliens«, eine Erfindung von konservativen Kräften, um der PT zu schaden.

Das Oberste Gericht zeigt sich von solcherlei Konspirationstheorien unbeirrt. Die Anklageschrift umfaßt knapp 45000 Seiten, auf denen das Bestechungssystem detailliert beschrieben wird. So soll Cunha beispielsweise 50000 Reais (nach damaligem Kurs rund 17000 Euro) an Bestechungsgeldern angenommen und deren Ursprung und Verwendungsziel verschleiert haben. Die Staatsanwaltschaft ist sicher, daß Cunha das Geld von Valerio erhielt und im Gegenzug die Werbeagentur SMP&B in einem Vertrag mit dem Abgeordnetenhaus bevorzugte. Konfrontiert mit der Zahlung erklärte er damals in einer ersten Stellungnahme, das Geld stamme von der PT, um eine Kabel-TV-Rechnung zu zahlen. Vor Gericht änderte Cunha die Version und sagte, die PT habe das Geld für die Durchführung von Wahlumfragen in Osasco im Bundesstaat São Paulo geschickt. Nach dem Votum der Richter zog Cunha seine Kandidatur für das Bürgermeisteramt von Osasco zurück.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 04. September 2012


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