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Rousseffs Wahlkampf

Brasilien: Regierung Lula legt neues Infrastrukturprogramm auf

Von Andreas Knobloch *

Die brasilianische Regierung unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat am Montag in Brasilia die zweite Ausgabe des sogenannten Programms zur Beschleunigung des Wachstums (PAC 2) vorgestellt. Ausgestattet mit dem astronomischen Investitionsvolumen von rund einer Billion Reales (ungefähr 400 Milliarden Euro) richtet sich das Programm vor allem an die Bevölkerung der Großstädte und verspricht für den Zeitraum von 2011 bis 2014 Maßnahmepakete vor allem für die Bereiche Gesundheit und Bildung sowie die Schaffung zusätzlicher Kinderkrippenplätze und Polizeistellen.

Der Zeitpunkt ist keineswegs zufällig gewählt. Auch wenn dies offiziell dementiert wird, soll das erfolgreiche öffentliche Infrastrukturprogramm der von Lula unterstützten Präsidentschaftskandidatin Dilma Rousseff neuen Schwung im Wahlkampf verleihen. Wie nötig dies ist, zeigt die Tatsache, daß der aussichtsreichsten Gegenkandidat, der sozialdemokratische Gouverneur des Bundesstaates São Paulo, José Serra (PSDB), in aktuellen Umfragen neun Prozentpunkte vor Rousseff liegt. Dabei hatte Serra erst in der vergangenen Woche offiziell seine Bereitschaft erklärt, bei den Präsidentschaftswahlen Anfang Oktober anzutreten. Lula war in derselben Woche wegen vorgezogenen Wahlkampfes für seine Kandidatin zu zwei eher symbolischen Geldstrafen verurteilt worden.

Pikant ist ein weiteres Detail, das den Wahlkampfcharakter von PAC 2 verdeutlicht. So sind 54 Prozent der 12163 Vorhaben der im Jahr 2007 initiierten ersten Auflage von PAC bisher noch nicht umgesetzt worden. Während PAC 1 vor allem größere Infrastruktur- und Energieprojekte umfaßt, liegt der Schwerpunkt der Neuauflage bei Sozialprogrammen. Ganz oben auf der Prioritätenliste von PAC 2 steht die Ausweitung sogenannter Anlaufstellen zur schnellen medizinischen Behandlung (UPAs) auf das ganze Land. Nach internen Auswertungen funktionieren 60 Prozent der bisher bestehenden 30000 Anlaufstellen des Programms »Saúde da Familia« (Familiengesundheit) nur ungenügend oder gar nicht.

Mit der Schaffung zusätzlicher UPAs soll auch Serra der Wind aus den Segeln genommen werden, der Minister für Planung und Gesundheit in der Regierung Fernando Henrique Cardoso (1995-2002) war. Gleichzeitig kritisierte Lula einen Beschluß des Senats, der 2007 eine provisorische Steuer auf Finanztransaktionen (CPMF) gekippt hatte - Geld, das dem Gesundheitswesen hatte zufließen sollen.

Um weibliche Wählerstimmen zu gewinnen, hat die Regierung das vom Bildungsministerium ebenfalls 2007 begonnene Programm »Proinfância« in PAC2 aufgenommen. Mit den dafür bereitgestellten 7,1 Milliarden Reales (2,9 Milliarden Euros) sollen bis 2014 6000 Kindergrippen geschaffen werden, vor allem im Nordosten Brasi­liens. Darüber hinaus erfährt das Programm »Minha Casa, Minha Vida« (Mein Haus, Mein Leben) eine beträchtliche Ausweitung. So ist der Bau von zwei Millionen Häusern für Familien mit geringem oder gar keinem Einkommen vorgesehen - doppelt so vielen wie ursprünglich geplant. Außerdem soll die öffentliche Sicherheit erhöht werden. Deren Gewährleistung liegt zukünftig vermehrt in den Händen der einzelnen Bundesstaaten. Ein beträchtlicher Budgetposten von PAC2 steht nicht zuletzt für die Schaffung von Posten der Gemeinschaftspolizei (polícia comunitária) zur Verfügung.

Linke Kritiker der brasilianischen Regierung bemängeln unterdessen, daß Lulas öffentliche Investitionsprogramme und Sozialmaßnahmen vor allem der Pflege und dem Erhalt der Wählerbasis der Arbeiterpartei (PT) dienten. Zwar hätten sich die Lebensbedingungen vieler Brasilianer verbessert, aber die Infrastrukturprojekte von PAC 1 hätten auch zum Teil verheerende ökologische Auswirkungen gehabt. Viele Unternehmer hätten sich daran eine goldene Nase verdient. Die Umsetzung einer Agrarreform, die diesen Namen auch verdiene, ließe dagegen weiter auf sich warten.

* Aus: Junge Welt, 30. März 2010


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