Teure U-Bahn durch Bestechung
Siemens hat in Brasilien eigenes Kartell angezeigt
Von Andreas Knobloch *
Die Affäre um Kartellbildung und illegale
Preisabsprachen beim Bau von
U-Bahnen in Brasilien, in den auch
der deutsche Siemens-Konzern verwickelt
ist, wächst sich zu einem
handfesten Korruptionsskandal aus.
Auch die wichtigste Oppositionspartei
PSDB (Partido da Social Democracia
Brasileira) scheint verwickelt.
Die brasilianische Justiz hat mehrere
Ermittlungsverfahren gegen
die früheren sozialdemokratischen
PSDB-Regierungen des Bundesstaates
São Paulo, Mário Covas
(1995-2001) und Geraldo Alckmin
(2001-2006), der derzeit zum
zweiten Mal als Gouverneur regiert,
sowie José Serra (2007-
2010), eingeleitet. Von Siemens an
die Behörden übergebene Dokumente
deuten darauf hin, dass das
Preiskartell im Jahr 2000 unter
Federführung von Covas gebildet
und von den nachfolgenden Regierungen
fortgeführt wurde. Es sollen
Bestechungsgelder in Millionenhöhe
geflossen sein.
Als Schlüsselfigur gilt Covas’
früherer Kabinettschef Robson
Marinho, heute Bundesabgeordneter.
Er wird mit drei Millionen
US-Dollar auf Geheimkonten in der
Schweiz in Verbindung gebracht.
Auch über Konten in Liechtenstein
sollen Gelder geflossen sein. Entsprechende
Informationen würdenderzeit ausgewertet.
Mitte Juli hatte die Tageszeitung
»Folha de S. Paulo« von der
Existenz eines Preiskartells berichtet,
dem unter anderem der
französische Alstom-Konzern, die
spanische CAF und Siemens angehören
sollen. Die Unternehmen
hätten geheime Verabredungen
bei Ausschreibungen zum Bau und
zur Wartung von Zügen und UBahnen
in São Paulo und der
Hauptstadt Brasilia getroffen.
Wenige Tage nach den Enthüllungen
beschuldigte die Zeitschrift
»Istoé« den früheren Präsidentschaftskandidaten
der PSDB und derzeitigen Gouverneur von São
Paulo, Geraldo Alckmin, die Absprachen
gegen Zahlung von Bestechungsgeldern
in Höhe von mindestens 50 Millionen US-Dollar
(38 Millionen Euro) toleriert zu
haben. Das Geld soll in die Parteikasse
geflossen sein.
Alckmin hatte angekündigt, vor
Gericht für Entschädigungen für
die durch das mutmaßliche Kartell
zuviel in Rechnung gestellten Beträge
zu streiten. Nach Berichten der Zeitung
»O Estado do S. Paulo« könnten
wegen der illegalen Verabredungen
zwischen den Konzernen
für Aufträge bis zu 30 Prozent
mehr als marktüblich gezahlt
worden sein. Genannt wird eine
Summe von 577,5 Millionen Reales
(189 Millionen Euro).
Die Arbeiterpartei PT (Partido
dos Trabalhadores) von Präsidentin
Dilma Rousseff fordert einen
Untersuchungsausschuss; die Regierung
bestreitet jede Verwicklung
und nannte die Ermittlungen
der Wettbewerbsbehörde CADE
ein »Instrument politischer Polizei«.
Siemens hatte das Kartell selbst
angezeigt, um sich vor Strafverfolgung
zu schützen. Bereits seit dem
vergangenen Jahr arbeite der
Münchner Konzern »umfassend«
mit den Ermittlern zusammen, wie
»Folha« schreibt. Schon 2008 hatte
ein Siemens-Mitarbeiter erste
Hinweise auf Schmiergeldzahlungen
geliefert. Gegenüber der
Staatsanwaltschaft von São Paulo
erklärte er laut »Istoé« damals:
»Viele Jahre lang hat das Unternehmen
Politiker, in ihrer Mehrzahl
von der PSDB, und Direktoren
des S-Bahn-Netzes CPTM bestochen.
« Nachfolgende Untersuchungen
ergaben aber keine konkreten
Anhaltspunkte. Im Herbst
2010 tauchten dann erneut Verdachtsmomente
auf.
In der jüngeren Vergangenheit
war Siemens mehrmals in Korruptionsskandale
verwickelt. Im
November 2006 brachte die sogenannte
Siemens-Affäre, einer der
größten Korruptionsfälle der
deutschen Wirtschaftsgeschichte,
ein weltweites System
von Schmiergeldzahlungen
gewaltigen Ausmaßes ans Licht. Die damalige
Siemens-Führung musste ihren
Hut nehmen. Der Konzern
wurde zu einer Geldbuße von 201
Millionen Euro verurteilt.
Bereits im Januar 2007 war
Siemens wegen illegaler Preisabsprachen
und Kartellbildung von
der EU zu Strafzahlungen von 400
Millionen Euro verdonnert worden.
Als Folge wurde ein Anti-
Korruptionsprogramm beschlossen.
Die neue Konzernführung unter
Peter Löscher versprach, eher
auf lukrative Geschäfte zu verzichten,
als sich erneut illegaler Praktiken
zu bedienen.
Löscher wurde in der vergangenen
Woche nach einem Machtkampf
vom bisherigen Siemens-
Finanzchef Joe Kaeser abgelöst.
Der Skandal in Brasilien hatte damit
nichts zu tun. Löscher war
über eine Serie von Rückschlägen
und zuletzt über eine erneute Gewinnwarnung
gestürzt.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 8. August 2013
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