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Auf der Anklagebank

Brasilien: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ThyssenKrupp-Tochter wegen schwerer Verletzung von Umweltauflagen bei Bau und Betrieb eines Stahlwerks nahe Rio de Janeiro

Von Benjamin Beutler *

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Bundesstaat Rio de Janeiro haben den Anfangsverdacht erhärtet: Deutscher Stahl verpestet Brasiliens Umwelt. Doch nicht nur auf dem Wasser und in der Luft nimmt der ThyssenKrupp-Konzern keine Rücksicht. Für den Werkschutz des neuen Megastahlwerks CSA an der Atlantikküste soll die Firmenleitung vor Ort Mafiamilizen rekrutiert haben, die Fischer und Gewerkschafter mit Morddrohungen verfolgen. Auch Schmiergelder zur Umgehung von Umweltauf­lagen sollen geflossen sein.

»Ein Stahlwerk mit den Ausmaßen von CSA darf es nicht unterlassen, angemessene Sicherheits- und Kontrolltechnologie einzubauen, die dazu dienen sollte, jegliche Emission von Schadstoffen in Luft und Wasser vorzubeugen und zu kontrollieren«, erklärte Staatsanwalt Daniel Lima Ribeiro Anfang Dezember bei der Anklageerhebung gegen das ThyssenKrupp-Tochterunternehmen »Companhia Siderúrgica do Atlântico« (CSA) wegen Nichtbeachtung der Umweltauflagen. Immer wieder hatten Anwohner seit Inbetriebnahme des Industriekomplexes im Juni 2010 über Luftverschmutzung geklagt. Husten und gereizte Atemwege hätten regelmäßige Arztbesuche nötig gemacht. Die Anklage stützt sich auf ein Gutachten des Instituts für Geowissenschaften der Universität Rio de Janeiro, laut dem die erlaubten Grenzwerte für Schadstoffe in der Nähe des CSA-Geländes nachweislich um bis zu 600 Prozent überschritten worden seien. Diese Schadstoffe, die beim Herstellungsprozeß der für den Export in die ThyssenKrupp-Werke in Deutschland und den USA bestimmten Stahlbrammen austreten, seien eine »Bedrohung der menschlichen Gesundheit«, so die Presseerklärung der Staatsanwaltschaft vom 3. Dezember.

Das sahen bisher nicht alle so. Die zuständige Umweltbehörde des Bundesstaates, INEA, bescheinigte dem Konzern trotz der massiven Beschwerden bis zuletzt die Einhaltung der Umweltauflagen. Als Nichtregierungsorganisationen mit Unterstützung der Menschenrechtskommission des Parlaments von Rio die Herausgabe von Daten zur Wasserqualität verlangten, stellte sich INEA-Präsident Luiz Firmino Martins quer. Vielmehr verwies der Beamte in brasilianischen Medien auf die »adäquaten Umweltkompensationen«, die ThyssenKrupp für entstandenen Schaden aufbringen würde. Doch seitdem klar ist, wohin diese »Kompensationen« geflossen sind, ermittelt die Generalstaatsanwaltshaft seit Mitte des Jahres gegen INEA und gegen die Deutschen auch noch wegen des dringenden Verdachts der Bestechung. Wie aus einer Stellungnahme des Konzerns an den Deutschen Bundestag hervorgeht, flossen 4,6 Millionen Reais, rund zwei Millionen Euro, in die Renovierung des INEA-Dienstsitzes in Rio.

Von Anfang an ging es bei dem Projekt 70 Kilometer westlich des Stadtzentrums von Rio de Janeiro nicht mit rechten Dingen zu. Im September 2006 hatte der deutsche Stahlkocher zusammen mit dem brasilianischen Bergbaukonzern Vale in der unberührten Bucht von Sepetiba mit dem Bau des Megastahlwerks begonnen, das mit rund 5,9 Milliarden Euro als größte Auslandsinvestition eines deutschen Unternehmens in Brasilien gilt. 2007 begannen dann die Auffälligkeiten. Die Fischer der Bucht beschwerten sich über die Verschmutzung der fischreichen Küste; mehr als 8000 Familien sahen durch die Baustelle der Stahlschmelze und der Hafenanlagen ihre Lebensgrundlage gefährdet. Als sie nach gescheiterten Gesprächen mit der Werksleitung, unter anderem gegen die illegale Rodung von jahrhundertealten Mangroven-Wäldern und die Privatisierung von Gewässern, mit friedlichen Protestaktionen begannen, erhielten viele von ihnen Morddrohungen von lokal bekannten Mafiosi, die für den ThyssenKrupp-Werkschutz arbeiten. Nachdem Gewerkschafts-Führer Luis Carlos Oliveira auf offener Straße aus einem Auto heraus eine Waffe gezeigt wurde, ein Mafia-Zeichen für ein Todesurteil, lebt der Familienvater mit neuer Identität in einem Zeugenschutzprogramm des Bundesstaates an einem unbekannten Ort. Beim Besuch einer Thyssen­Krupp-Aktionärsversammlung Ende Januar 2010, bei dem die »Vereinigung kritischer Aktionäre« dem Fischer das Rederecht erteilten, klagte der Aktivist die Doppelmoral des Aktienunternehmens an. »Wir wollen, daß ThyssenKrupp ökologische und soziale Schäden, die das Stahlwerk angerichtet hat, wiedergutmacht«, so Oliveira. »Das Unternehmen muß in Brasilien nach den gleichen ökologischen, technischen und sozialen Standards wie in Deutschland arbeiten. Die 8000 Fischer in der Bucht von Sepetiba wollen wieder ihrer Arbeit nachgehen.«

Der hartnäckige Widerstand zeigt erste Früchte. Bei einer Verurteilung drohen Verantwortlichen wie Werksleiter Friedrich-Wilhelm Schäfer und dem Firmen-Umweltbeauftragten Álvaro Francisco Barata Boechat Haftstrafen von bis zu 19 Jahren. Neben empfindlichen Bußgeldern ist sogar die Schließung der Anlage möglich, so die Staatsanwaltschaft. Denkbar wäre auch der Ausschluß von Staatsaufträgen für die kommenden fünf Jahre und der Wegfall von Steuererleichterungen. In sieben Sammelklagen vor Zivilgerichten haben die Fischer die Thyssen­Krupp AG auf einen Gesamtbetrag von 756 Millionen Euro Verdienstausfall verklagt.

Doch schnelle Hilfe wird es wohl nicht geben. Vor einer Woche wurde bekannt, daß Thyssen für die Verschmutzung des Rio Paraíba do Sul mit 150 Litern Maschinenöl aus ihrer Metallschmelze BR Metals Fundições zur Zahlung von 1,6 Millionen Euro Strafe verurteilt wurde. Der Prozeß hatte allerdings 21 Jahre gedauert.

* Aus: junge Welt, 13. Dezember 2010

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