Runter mit den Leitzinsen
Brasilien vollzieht Pradigmenwechsel in der Geldpolitik
Von Andreas Knobloch *
Die Brasilianische Notenbank hat überraschend den Leitzins um 0,50 Punkte auf 12,00 Prozent gesenkt. Analysten hatten eher mit einer Beibehaltung des Zinssatzes gerechnet.
Brasiliens Finanzminister Guido Mantega will Geld zurückzulegen. Für das laufende Jahr erwartet die Regierung einen Anstieg des Überschusses von 117,8 Milliarden Reais (50,5 Milliarden Euro) auf 127,8 Milliarden Reais (54,8 Milliarden Euro). Laut Mantega zielt die Maßnahme darauf ab, den Inflationsdruck zu verringern.
Im August hatte die Inflation zum ersten Mal seit sechs Jahren die Marke von sieben Prozent überschritten. Die geplante Anhebung des Budget-Überschusses von drei auf 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), so der Finanzminister, solle der Notenbank die Möglichkeit geben, den Leitzins in den kommenden Monaten zu senken, so dass das Wirtschaftswachstum trotz der weltweiten Turbulenzen beibehalten werden kann. Zuletzt hatten Volkswirte ihre Wachstumsprognosen für Brasilien nach unten korrigiert. So rechnet die Credit Suisse mit einem Wachstum von zwei bis drei Prozent nach 7,5 Prozent im Vorjahr. Die brasilianische Zentralbank geht von 3,9 Prozent aus.
Die Zinssenkung war die erste in diesem Jahr – nach mehreren Erhöhungen. Die Anhebung der Leitzinsen ist eines der wichtigsten geldpolitischen Instrumente zur Kontrolle der Inflation – allerdings mit Nebenwirkungen. Wird der Leitzins erhöht, erhöhen in der Regel die Banken ihre Zinsen auf Kredite, was wiederum Investitionen dämpft. Trotz der Absenkung hat Brasilien weiterhin einen der höchsten Zinssätze weltweit. Zum Vergleich: In Russland und Ägypten beträgt der Zinssatz je 8,25 Prozent, in Indien acht Prozent, in China 6,56 Prozent und in der Türkei 5,75 Prozent. In den sogenannten Industriestaaten wie USA, Großbritannien oder Japan dagegen geht der Zinssatz gegen Null.
Die Brasilianische Notenbank begründete ihren Schritt mit der weltwirtschaftlichen Lage. Die Schuldenkrise in Europa, der Abschwung in den USA und die Inflationsgefahr haben Ängste vor einer neuen weltweiten Rezession geschürt. Erst am Wochenende warnte Weltbank-Chef Robert Zoellick auf einer Konferenz in Peking vor einer neuerlichen Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Notenbank wollte demnach den Auswirkungen der krisenhaften Weltwirtschaft rechtzeitig entgegenwirken. Die Probleme der Industriestaaten würden länger andauern als erwartet und die Regierungen hätten kaum Instrumente, die Erholung zu beschleunigen, hieß es zur Begründung weiter.
Dafür tritt die Inflationsbekämpfung in den Hintergrund. Einige Finanzexperten allerdings bezweifeln, dass die internationale Krise so starke Auswirkungen auf Brasiliens Inflation haben wird, denn die Inflationsursachen wie eine geringe Arbeitslosenquote und wachsende Kreditmenge bestünden fort.
Die Gewerkschaften, die die Zurückhaltung bei der Ausgabenpolitik noch heftig kritisiert hatten, begrüßten dagegen den Schritt der Notenbank. Das größte Problem Brasilien sei ohnehin die zu starke Währung. Nicht zuletzt durch die hohen Zinsen hat der Real seit 2008 46 Prozent an Wert gewonnen. Dadurch aber verteuern sich die Exporte; Importe werden billiger – beides nachteilig für die einheimischen Industrien.
Die Finanzkrise vor zwei Jahren hatte Brasilien weitgehend unbeschadet überstanden. Damals waren die öffentlichen Ausgaben massiv erhöht worden. Diesmal soll die Zinspolitik helfen, dass es gar nicht erst zur Krise kommt.
* Aus: Neues Deutschland, 5. September 2011
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