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Bulgarien öffnet Russland Tür nach Europa

Wladimir Putins letzter Staatsbesuch im Ausland als Präsident galt Bulgarien.

Von Andrej Wawra *

Es scheint so, als habe Putin seine wichtigsten außenpolitischen Schritte auf die letzten Monate seiner Amtszeit angesetzt. Im Endeffekt kann dieser Besuch zu einem höchst eindrucksvollen Schlussreigen von Putins Politik werden.

Das Wort „Pragmatismus“ ist das Schlüsselwort dieses Besuchs. Natürlich spielen die humanitäre, kulturelle und geistige Komponente auch eine wichtige Rolle: Die jahrhundertelangen historischen Verbindungen, die gegenseitigen Sympathien, die „Slawenbrüderschaft“, rührende Erinnerungen an die Zeiten des Rates für Wirtschaftshilfe, als Bulgarien Russland mit Gemüse, Obst und Tabak versorgte und die Fahrten nach Bulgarien für die Sowjetbürger so gut wie die einzige Tür nach Europa waren. Diese Nostalgie war seit langem präsent, sie ist da und wird nie versiegen, obwohl die Beziehungen der beiden Länder in den letzten etwa zehn Jahren in eine Stagnationsphase abgeglitten waren. Doch der jetzige Besuch zeigt auf, dass die gegenseitigen Sympathien und die „slawische Brüderschaft“ auf der verlässlichen Grundlage der Wirtschaftsbeziehungen noch zuverlässiger und effizienter sein können.

Bulgarien ist heute für Russland sehr wichtig. Deshalb rücken wir das Thema der NATO-Beteiligung Bulgariens nicht zu sehr in den Vordergrund. Sie ist im Grunde genommen der Schlüssel zu Russlands Energiezusammenarbeit mit der EU. Mittels Bulgarien bekommt Russland einen direkten Zugang zum Energiemarkt von Süd- und Mitteleuropa. In Kombination mit der Ostsee-Pipeline wird das Russland als europäischem Energielieferanten so viel Spielraum wie möglich geben.

Der Vertrag mit Bulgarien verringert Russlands Abhängigkeit von der Ukraine und Weißrussland, um dauerhafte Lieferungen der Energieträger nach Europa zu gewährleisten. So wird das geschaffen, was Putin in seinem Artikel zum Bulgarien-Besuch als „Diversifizierung der Energierouten“ und „Einführung von neuen Sicherheitsschemen“ bezeichnete. Somit weist Russland alle Beschuldigungen von sich, dass es kein verlässlicher Energiepartner sei, die laut wurden, als die Zuverlässigkeit der Lieferungen direkt von den Abkommen mit den Transitländern abhing.

Unter anderem wurde wurden während des Besuchs zwei Abkommen unterzeichnet. Das erste handelt um die Gründung eines internationalen Projektunternehmens zum Bau und Betrieb Burgas-Alexandroupolis-Pipeline, die die beiden Länder gemeinsam mit Griechenland bauen. Die Pipeline wird das russische Öl nach Südeuropa bringen. Um die türkische Meeresenge Bosporus, wo eine ernsthafte Umweltverschmutzung droht, macht sie einen großen Bogen.

Das zweite Dokument ist ein Vertrag über die Errichtung des Atomkraftwerks Belene. Das russische Unternehmen Atomstroyexport hatte das Ausschreiben bereits am 31. Oktober 2006 gewonnen und muss zwei Energieblöcke im Kraftwerk bauen. Das Projekt wird es Bulgarien erlauben, bis Anfang des nächsten Jahrzehnts zu einem der führenden Stromexporteure in Europa aufzusteigen, während heute die Stromerzeugung kaum den Binnenbedarf decken kann. Im Gegenzug wird Russland mit seiner Atomenergie auf den europäischen Markt kommen.

Kurz vor dem Besuch hatte das Schicksal des dritten Projekts, der South-Stream-Pipeline, Besorgnis hervorgerufen. Der russische Gasmonopolist Gasprom und der italienische Energiekonzern Eni hatten sich Ende November auf ein Gemeinschaftsunternehmen zur Projektierung dieser Pipeline geeinigt. Ein circa 900 Kilometer langer Abschnitt davon soll am Boden des Schwarzen Meeres von der russischen bis zur bulgarischen Küste verlaufen.

Die Realisierung dieses Projekts wird das von den USA lobbyierte Pipeline Nabucco, die Energieträger in Umgehung Russlands nach Europa leiten soll, ins Abseits stellen. Laut Nabucco-Projekt soll bis 2011 eine Pipeline nach Österreich vom Kaspischen Meer durch die Türkei gezogen werden.

Trotz aller Schwierigkeiten wurde der äußerst wichtige South-Stream-Vertrag dennoch bei Putins Besuch perfekt gemacht. „Es ist sehr wichtig, dass beide Parteien sich kompromissbereit gezeigt haben und dass das vorbereitete Projekt ein Interessengleichgewicht reflektiert und das komplizierte Thema entwickeln lässt“, sagte der designierte Putin-Nachfolger und Gasprom-Aufsichtsratschef Dmitri Medwedew.

Deswegen ist auch Russland für Bulgarien nicht weniger wichtig. Doch im Moment gehört Bulgarien zu den rückständigsten Ländern unter den EU-Mitgliedern. Dieses Land würde wegen seinem langsamen Entwicklungsweg noch lange bei den „alten“ Europäern als Fremdling gelten.

Doch dank der geographischen Lage ist Bulgarien ein sehr wichtiges Land. Gemeinsam mit Rumänien schließt Bulgarien den NATO-Ring um den unruhigen Balkan, der den Weg der europäischen Integration noch nicht eingeschlagen hat.

Der besondere geopolitische Wert Bulgariens ist seine Möglichkeiten als Transitstaat. Wenn Bulgarien dieses Transitpotential durch die Abkommen mit Russland realisiert hat, wird es zum äußerst bedeutenden EU-Mitglied, dessen Stimme Gewicht und Ansehen hat.

Mit Verständnis über das außerordentliche gegenseitige Interesse zeigten sich Russlands bulgarische Partner als harte Unterhändler. Es war wichtig, das gegenseitige Interesse zu wahren. Doch genauso wichtig ist es, nicht zu billig davonzukommen. So ist es allem Anschein nach gekommen.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der der RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 18. Januar 2008


Weitere Meldungen

Gasprom: Gaspipeline South Stream geht 2013 in Betrieb

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Das Investitionsvolumen für das Projekt South Stream wird auf etwa zehn Milliarden US-Dollar beziffert. Ein Abschnitt der Rohrleitung wird auf dem Grund des Schwarzen Meeres verlegt. Für den Pipelinebau auf dem Festland wurden einige Varianten für Routen geprüft, die durch die Territorien der EU-Länder führen.

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"Wir haben heute einen sehr wichtigen Schritt für die Vergrößerung der Stabilität und Sicherheit der Gaslieferungen an Europa unternommen", äußerte er in der bulgarischen Hauptstadt Sofia vor der Presse. "In der nächsten Zeit werden die Regierungen Russlands und Italiens sowie Gasprom und Eni effektiv an der Erlangung der notwendigen Abmachungen für die Realisierung dieses Projektes arbeiten", führte er aus. Sobald die Road Maps abgestimmt seien, werde das Projekt der EU-Kommission vorgelegt, sagte Scaroni.
Wie der russische Präsident Wladimir Putin am Freitag (18 Jan.) in Sofia mitteilte, wurde am Freitag ein gemeinsames Unternehmen von Gasprom und Eni für den Bau eines Teils der Gasleitung auf dem Meeresgrund registriert.
Das Investitionsvolumen für das Projekt South Stream wird von Experten auf etwa zehn Milliarden US-Dollar beziffert. Ein Teil der Leitung - etwa 900 Kilometer - soll Russland und Bulgarien auf dem Grund des Schwarzen Meeres in einer Tiefe von bis zu 2000 Metern verbinden. Für den Pipelinebau auf dem Festland wurden einige Varianten geprüft, die durch die Territorien von EU-Ländern verlaufen.




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