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Das Trojanische Pferd hinkt

Bulgarien stellt die Erdölleitung South Stream in Frage und Moskau droht mit Sanktionen

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Der Westen macht Druck auf Bulgarien, um die Erdölleitung South Stream stoppen. Dann behielte die Ukraine ihren Transit-Status, und Moskau droht wieder mit Folgen.

»Energetische Erpressung« nannte der Vize-Vorsitzende des Außenpolitischen Duma-Ausschusses, Leonid Kalaschnikow, die Entscheidung Bulgariens, die Arbeiten am Bau der Erdgaspipeline South Stream auf Eis zu legen. Besonders in Rage brachten den Mandatsträger der Kremlpartei »Einiges Russland« Berichte, nach denen erzkonservative US-Senatoren unter Führung des »russophoben« Ex-Präsidentschaftskandidaten John Mc Cain den Bulgaren-Premier Plamen Olescharski in Sofia dazu gedrängt haben sollen. Dieser verkündete die Kehrtwende nach dem Treffen mit den »Freunden« aus Washington.

Zwar fehlt bisher eine offizielle Note aus Sofia. Noch sei alles in der Schwebe, beschwichtigte auch der Pressechef von Russlands Präsidenten Wladimir Putin erhitzte Gemüter. Doch Belgrad ließ wissen, wegen der Position Bulgariens würden bis auf weiteres auch die Arbeiten am serbischen Abschnitt eingestellt.

Senkt Brüssel den Daumen über South Stream, wird eines der ambitioniertesten Energieprojekte Russlands Makulatur. South Stream ist das südliche Pendant zur Ostseepipeline Nord Stream. Die 2400 Kilometer lange Leitung soll von Südrussland über den Boden des Schwarzen Meeres führen, 2016 ans Netzt gehen und 2018 volle Leistung erreichen: 63 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Das sind etwa 35 Prozent des europäischen Bedarfs an Erdgas. Der Transit soll Moskau definitiv von der Ukraine unabhängig machen. Denn noch hat Kiew bei der Durchleitung russischer Exporte nach Westeuropa die gleiche strategische Schlüsselposition wie sie Bulgarien bei South Stream zufallen soll.

Gasprom hatte sich rechtzeitig die Kontrolle über das gesamte bulgarische Pipelinesystem gesichert und kontrolliert exakt 50 Prozent des gesamten South-Stream-Netzes. Die andere Hälfte teilen sich Italiens ENI, die französische Edf und die deutsche BASF-Tochter Wintershall. Ein Verstoß gegen das so genannte Dritte Energie-Paket, das das Europaparlament 2009 beschloss. Danach dürfen Gasförderer in den Regionen die sie beliefern, nicht gleichzeitig Pipelines besitzen.

Brüssel störten von Anfang an Bulgariens Abkommen mit Russland. Sie würden Sofia aus Sicht mancher Beobachter zu Moskaus Trojanischem Pferd in der EU machen. Das hinkt nun. Die Eurokraten spielten ihren Trumpf jedoch erst nach dem Anschluss der Krim und den Auseinandersetzungen in der Ostukraine aus.

Hiesige Kenner halten den Vorgang für sehr viel gefährlicher als Sanktionen: Verzicht auf South Stream oder Erpressung durch Kiew und dessen West-Paten. Putin schwingt bereits die Keile zum Gegenangriff: Kiews EU-Assoziierung zwinge Russland zum Schutz seiner Wirtschaft. Gemeint waren die Kündigung des Freihandelsabkommens und der Zölle. Damit sind ukrainische Waren auf dem russischen Markt künftig nicht mehr konkurrenzfähig.

Vor allem geht es aber um die Rücknahme von Regelungen, die Bürgern der Ukraine gestatten, in Russland drei Monate ohne Arbeitserlaubnis zu jobben. Dass könnte zu neuen Massenprotesten führen. Derzeit verdient sich in Russland knapp ein Drittel der werktätigen ukrainischen Gesamtbevölkerung ihr Brot.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 10. Juni 2014


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