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Bürgerkrieg hemmt Burundis Chancen

Mit einer ausgeklügelten Machtverteilung zwischen Hutu und Tutsi soll der Frieden gesichert werden

Im Folgenden dokumentieren wir einen Beitrag aus einer Artikelserie, die im August/September 2003 in der Zeitung "Neues Deutschland" erschien und die zehn ärmsten Länder der Welt porträtierte. Burundi steht auf dem 171. Platz der UNDP-Liste von 175 Ländern.


Von Martin Ling

Zwei Länder - ein Problem: Wie in seinem Nachbarland Ruanda bestimmt in Burundi der Machtkampf zwischen Hutu- und Tutsi-Eliten seit Jahrzehnten das Geschehen. Beide Länder sind politisch in Hutu und Tutsi gespalten, und in beiden Ländern stellen die Hutu eine eindeutige Bevölkerungsmehrheit. Bei Wahlen entlang ethnischer Linien bedeutet dies zwangsläufig eine Hutu-Dominanz im politischen System.

Während in Ruanda die Regierung des diese Woche zum Präsidenten gewählten Tutsi Paul Kagame sich bemüht, über eine neue Verfassung, die die Überwindung der Hutu-Tutsi-Spaltung festschreibt, die Ethnizität systematisch aus dem politischen Leben zu verbannen, wurde in Burundi ein anderer Weg beschritten, um den seit 1993 wütenden Bürgerkrieg zu beenden. Hutu und Tutsi teilen sich nach einem ausgeklügelten Proporzsystem die Macht, wie es im von Nelson Mandela vermittelten Friedensabkommen von 2001 festgelegt wurde. In dem im tansanischen Arusha geschlossenen Vertrag wurde zudem eine umfangreiche Reform des Justizwesens und eine Liberalisierung der Pressezensur, die Freilassung aller politischen Gefangenen sowie eine Umstrukturierung der fast ausschließlich von Tutsi dominierten Armee festgelegt. Zur Absicherung der fragilen Konstruktion dient eine afrikanische Friedenstruppe, die von den bisher gut hundert Soldaten auf 3000 aufgestockt werden soll. Denn trotz Waffenstillstand und Friedensabkommen gehen die Kämpfe weiter, zumal die älteste Hutu-Rebellenorganisation, die Nationale Befreiungsfront (FNL), sich nie an den Friedensgesprächen beteiligt hat.

Eine friedliche Machtübergabe von einem Tutsi zu einem Hutu-Politiker gab es erst zweimal in Burundis Geschichte. 1993 übergab Pierre Buyoya nach seiner Wahlniederlage die Regierungsgeschäfte an Melchior Ndadaye. Nur wenige Monate darauf wurde Ndadaye von Tutsi-Miliärs ermordet. Das Fanal für Massaker und den Bürgerkrieg, dem seitdem rund 300000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Hinzu kommen 1,2 Millionen Flüchtlinge - bei einer Bevölkerung von 6,3 Millionen. Der zweite Versuch wurde am 30.April 2003 unternommen. Diesmal ließ Buyoya, der sich 1996 wie schon 1987 mittels Putsches in das höchste Staatsamt katapultiert hatte, seinen Stellvertreter Domitien Ndayizeye in die erste Reihe. Mit einem wenig optimistischen Statement: Er gebe die Macht ab, damit niemand sagen könne, er sei schuld, falls der Frieden nicht komme.



Burundi in Zahlen
Fläche: 27834 km2
Bevölkerung: 6,373 Millionen
Religion: 88 % Christen, 10 % Muslime, 2 % Animisten
Lebenserwartung: 40,4 Jahre
Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 690 Dollar
Alphabetenrate: 49,2 Prozent
Kindersterblichkeit u. 5 Jahre: 190 von 1.000
Einkommen unter 1 Dollar pro Tag: 58,4 Prozent


Ob er kommt, bleibt fraglich. Die Nationale Befreiungsfront (FNL), die sich in den Hügeln rund um die Hauptstadt Bujumbura verschanzt hält, startete erst letzten Monat ihren größten Angriff überhaupt. 300 Menschen starben beim Beschuss der Hauptstadt, tausende wurden in die Flucht getrieben. Die Tatsache, dass seit Mai ein Hutu als Präsident amtiert, vermag die Hutu-Rebellen der FNL nicht zu besänftigen. Der Machtwechsel sei "bedeutungslos", weil sich "nur die Besetzung, nicht aber das System" geändert habe. Und auch die Hutu-Rebellen der Streitkräfte zur Verteidigung der Demokratie (FDD) halten sich nicht an die Waffenruhe, die ihr oberster Anführer, Pierre Nkurunziza, im Dezember 2002 mit der Regierung verabredet hat. Immer wieder kam es in den letzten Wochen zu Überfällen im Norden des Landes.

So ist es wenig verwunderlich, dass die Umstrukturierung der Tutsi-dominierten Armee in den 18 Monaten der Amtszeit Buyoyas überhaupt nicht in Angriff genommen wurde. Schließlich gilt sie der Minderheit der Tutsi als Lebensversicherung. Die Angst vor einem Völkermord wie im Nachbarland Ruanda 1994 ist gegenwärtig. Auch beim Antritt von Domitien Ndayizeye, der nun 18 Monate das Ruder führen soll, war davon keine Rede. Die Armee steht auf dem Standpunkt, erst dann Reformen einzuleiten, wenn die Rebellen ihre Waffen abgegeben haben. Diese wiederum begründen ihren fortgesetzten Griff zu den Gewehren mit Angriffen der Armee. Ohnehin kam das Friedensabkommen von Arusha nur aufgrund massiven äußeren Drucks von Südafrika, Uganda und Tansania zustande. Die Großmächte haben an dem ressourcenarmen Land dagegen wenig Interesse. Viel mehr als Kaffee und Tee ist in Burundi nicht zu holen. Immerhin haben die westlichen Geberländer nach dem Friedensabkommen 905 Millionen US-Dollar bis zum Jahr 2005 zugesagt. Die Voraussetzungen, dass sie für die Bevölkerung nutzbringend investiert werden, sind jedoch denkbar schlecht. Der Konflikt zwischen Hutu und Tutsi ist in Burundi wie in Ruanda ein Konflikt der Eliten um die Macht. Das Fußvolk wird mit der ethnischen Frage für die eigenen Zwecke instrumentalisiert. Auf der Strecke bleibt die Entwicklung. Ein dauerhafter Friede wäre eine notwendige, wiewohl nicht hinreichende Bedingung für eine bessere Zukunft. Denn ob Burundi oder Ruanda - ohne Frieden ist alles nichts.

Aus: ND, 1. September 2003


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