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Mutter mit elf Jahren

Sexuelle Gewalt gegen Mädchen ist in Burundi nach wie vor weit verbreitet

Von Philipp Hedemann, Bujumbura *

Im ehemaligen Bürgerkriegsland Burundi werden immer noch Tausende Mädchen Opfer sexueller Gewalt.

Er war der einzige Mann, dem sie vertraute - und er nahm ihr alles, was sie hatte. Ihre Kindheit, ihr Vertrauen, ihre Würde. Als Mireille zehn Jahre alt war, wurde sie drei Mal vergewaltigt. Jetzt versucht sie, das Kind des Mannes, den sie hasst, zu lieben. Die 13-Jährige lebt mit ihrer fünfzehn Monate alten Tochter Medicella in einem Heim für sexuell missbrauchte Mädchen in der burundischen Hauptstadt Bujumbura.

»Der Mann, der mich vergewaltigt hat, ist ein Hexenmeister. Er hat mich, mein Baby und meine Mutter mit einem Todesfluch belegt. Er ist sehr mächtig«, erzählt Mireille mit zitternder Stimme. Sie konnte nur vier Jahre zur Schule gehen, aber selbst studierte Menschen glauben in Burundi an schwarze Magie - und Mireilles Leben schien von Anfang an mit einem dunklen Fluch belegt zu sein. Das zartgliedrige Mädchen wurde im drittärmsten Land der Welt der Welt geboren. Die Mutter- und Säuglingssterblichkeit gehört zu den höchsten der Welt. 166 von 1000 Kindern sterben bevor sie das fünfte Lebensjahr erreicht haben (in Deutschland sind es vier). Ursache der katastrophalen Lage in einem der kleinsten und dicht besiedelsten Länder Afrikas (circa zehn Millionen Einwohner) ist ein Bürgerkrieg zwischen Hutu und Tutsi, Rebellen und Regierung, der das Land von 1993 bis 2005 erschütterte und in der ehemaligen deutschen Kolonie rund 250 000 Menschenleben kostete.

Mireille wurde während dieses Krieges geboren. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt. Ihre Mutter hat kaum über ihn gesprochen. Nur soviel: »Er war einer der Rebellen und hat mich vergewaltigt. Ich hasse Deinen Vater.« Irgendwann heiratete Mireilles Mutter einen anderen Mann, doch der wollte Mireille, den dunklen Schatten der Vergangenheit seiner Frau, aus seinem Leben drängen. Immer wieder schlug er dem Mädchen - für ihn nur ein Rebellen-Bastard, auf die Ohren. Mireille hört seitdem so schlecht, dass die anderen Mädchen im Heim sie oft wecken müssen, wenn Mireille nachts das Weinen ihres eigenen Babys nicht hört.

»Als ich zehn war, hat der Mann meiner Mutter mich aus dem Haus gejagt«, erzählt Mireille während sie ihre Tochter stillt. Es ist ein verstörender Anblick. Ein Kind gibt einem Baby die Brust. Als sie mit elf Jahren Mutter wurde, musste ihr Baby per Kaiserschnitt geholt werden, für eine natürliche Geburt war Mireille noch zu klein. Ihr Baby wog nur zweieinhalb Kilo. Mireille musste an beiden Brüsten operiert werden, das Stillen tut ihr weh. »Ich weiß, dass ich selbst noch ein Kind bin. Am liebsten würde ich zur Schule gehen und Seilspringen spielen. Aber das geht jetzt nicht mehr. Ich muss mich doch um Medicella kümmern. Ich versuche es, so gut ich kann«, sagt die junge Mutter.

»Mireille leidet unter Depressionen. Sie fängt oft unvermittelt an zu weinen«, sagt Emma Gakobwa die das Heim für sexuell missbrauchte Mädchen leitet. Wenn plötzlich Tränen über Mireilles Gesicht laufen, haben sie meist ihre Erinnerungen eingeholt. Die Erinnerungen an jenen Morgen im Slum Kanyosha als Hexer Jean Bosco seine Frau und seine fünf Kinder zum Süßkartoffeln ernten schickte und sich erstmals an der schlafenden Mireille verging. »Ich habe nicht verstanden, was er mit mir machte. Es tat schrecklich weh, aber er drückte mir seine große Hand auf den Mund und sagte, dass er mich tötet, wenn ich irgendjemandem von der Sache erzähle«, sagt Mireille. Trotz der Todesdrohung zeigte Mireille den großen Hexenmeister an. Genutzt hat es nichts. Zwei Mal bestach Jean Bosco Polizisten, zwei Mal wurde er laufengelassen. Mireille: »Ich habe solche Angst, dass er mir das Gleiche noch mal antun könnte. Schlimmer wäre nur, er würde sich an meinem Baby rächen.«

* Aus: neues deutschland, 31. Januar 2012


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