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Im Ausstand gegen "Sparpläne"

Chile: Größte Massenproteste seit Präsident Piñeras Amtsantritt im März

Von Benjamin Beutler *

Chiles konservative Regierung gerät unter Druck. Gegen deren Pläne, 2500 Beamte und Arbeiter im öffentlichen Dienst zu entlassen, traten am Donnerstag (Ortszeit) Zehntausende Menschen in den Streik. Aufgerufen dazu hatte die »Nationale Vereinigung der Staatsbediensteten« (ANEF) ihre 80000 Mitglieder. 90 Prozent von ihnen, so die Gewerkschaft, beteiligten sich am landesweiten Ausstand. »Damit hätten wir nicht gerechnet, denn viele Mitglieder haben Angst, ihre Arbeit zu verlieren«, erklärte ANEF-Präsident Raúl de la Puente am Freitag.

Gegen die Sparvorhaben der Regierung formierte sich in Santiago de Chile der bisher größte Demonstra­tionszug seit Amtsantritt von Präsident Sebastián Piñera im März dieses Jahres. Verschiedenen Angaben zufolge gingen in der Hauptstadt 5000 bis 10000 Menschen auf die Straße. Auch in der 120 Kilometer westlich der Kapitale gelegenen Hafenstadt Valparaíso, dem Sitz des Kongresses, demonstrierten Tausende.

Ungeachtet der Massenproteste sagte Arbeitsministerin Camila Merino, daß die Entlassungen »nicht verhandelbar« seien. Alle Stellen seien »politische Posten«. Nach zehnjähriger sozialistischer Regierungszeit, zuletzt unter Präsidentin Michelle Bachelet, fände nun ein personeller Wechsel im Staatsapparat statt. Raúl de la Puente widersprach dieser Darstellung. Die bisher weggefallenen Arbeitsplätze seien keine »Vertrauensposten« auf der Führungsebene. Betroffen sei vor allem der »Mittelbau«. Man habe Kenntnis von Entlassungen im Ministerium für Planung und Entwicklung, im Kultur- und Erziehungsministerium sowie in der staatlichen Behörde für Frauenrechte. Weitere Stellenvernichtung stände bevor, warnte der ANEF-Chef: »Bis zum 31. Dezember könnten 110000 Menschen ohne Arbeit dastehen.«

Unterstützt wurden die Streikenden von der »Vereinigung der Studenten Chiles« (FECH). Seit Wochen mobilisiert diese gegen Privatisierungspläne im Bildungswesen und gegen »die neue Form des Regierens«. Demnach würden »kommerzielle Interessen über die Köpfe der Menschen hinweg verteidigt«, so FECH-Vorsitzender Julio Sarmiento. Zu Beginn der Woche war es in Santiago bereits zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei gekommen. 41 Studenten wurden wegen einer Schulbesetzung festgenommen.

Unterdessen befinden sich im Süden des Andenlandes 32 Aktivisten den Indigenenbewegung weiter im Hungerstreik. Sie fordern damit seit über 40 Tagen ihre Freilassung aus der »politischen Untersuchungshaft«. Allerdings werde über die Aktion der Mapuche kaum berichtet, stellte Rodrigo Miranda fest. Man habe es mit einem »medialen Schweigen« zu tun, so der Vorsitzende des chilenischen Journalistenverbands. Das geschehe in einer Situation, in der das Leben von acht der am Hungerstreik Beteiligten »akut bedroht« sei.

* Aus: junge Welt, 28. August 2010


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