Starb Weisfeiler in der Colonia Dignidad?
Chilenischer Richter Zepeda ermittelt im Fall des 1985 verschwundenen Mathematikers
Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *
Die deutsche Siedlung Colonia Dignidad
in Chile ist Geschichte, aber ihre
Verbrechen sind längst noch nicht
aufgearbeitet. Der hartnäckige chilenische
Richter Jorge Zepeda versucht
nun, Licht ins Dunkel des Falles Boris
Weisfeiler zu bringen.
Was geschah mit Boris Weisfeiler?
Der USA-Bürger russischer Herkunft
ist seit Anfang Januar 1985
verschwunden. Die Spur des damals
43-jährigen Mathematikers
verliert sich in der Nähe der deutschen
Siedlung Colonia Dignidad
im Süden Chiles. Dort war Weisfeiler
als Tourist unterwegs. In der
deutschen Sektenkolonie wurde er
vermutlich zum letzten Mal lebend
gesehen. 27 Jahre nach seinem
spurlosen Verschwinden ist die
Aufklärung möglicherweise einen
Schritt näher gerückt.
Am Mittwoch hatte der chilenische
Richter Jorge Zepeda die Verhaftung
von acht ehemaligen Polizisten
und Militärs angeordnet. Zepeda,
bekannt als hartnäckiger
Ermittler bei der juristischen Aufarbeitung
von Menschenrechtsverbrechen
während der Pinochet-
Diktatur zwischen 1973 und 1990,
hat gegen die Acht ein Verfahren
wegen Entführung und Bildung einer
kriminellen Vereinigung eingeleitet.
Für den Richter ist Weisfeilers
Verschwinden ein »gewaltsames
Verschwindenlassen« und
folglich ein Verbrechen gegen die
Menschheit, das nicht verjährt.
Die Polizisten hatten damals
angegeben, Weisfeiler wegen seiner
Militärkleidung für einen illegal
eingereisten Extremisten gehalten
zu haben, der sich in Chile
verstecken wollte. Deshalb hätten
sie ihn festgenommen und dies
zunächst verheimlicht. Später gaben
die Militärs an, Weisfeiler sei
bei der Durchquerung eines Flusses
ertrunken, an dessen Ufer sie
Spuren von ihm gefunden hätten.
Der Fall war bereits mehrfach
als abgeschlossen zu den Akten
gelegt worden, bevor er bei Zepeda
landete. Für den Juristen stellt
sich die damalige Situation denn
auch ganz anders dar. »Die betreffenden
Polizisten und Militärs
haben Boris Weisfeiler nicht nur
ohne rechtlichen Grund seiner
Freiheit beraubt, sondern bis heute
an ihrer verheimlichenden Haltung
festgehalten«, schreibt Zepeda
in seinem richterlichen Beschluss.
Entscheidend war aber auch
die Beharrlichkeit von Weisfeilers
Schwester Olga, die mehrfach nach
Chile gereist war, um immer wieder
Aufklärung zu fordern. »Das
jetzt eingeleitete Verfahren gibt
mir die Hoffnung, Boris zu finden
und zu erfahren, was mit ihm passiert
ist«, sagt Olga Weisfeiler.
Zepeda weist unter anderem
darauf hin, dass sich Jahre nach
dem Verschwinden ein anonymer
Zeuge an eine Organisation der
katholischen Kirche gewandt hatte,
die sich für Verfolgte des Pinochet-
Regime einsetzte. Der Mann
habe sich als Mitglied der Militärpatrouille
zu erkennen gegeben,
die als Wachschutz für die Colonia
Dignidad im Einsatz war. Er »bestätigte,
dass Boris Weisfeiler an
einem Nebenfluss in der Gegend
von San Fabián de Alico gefangen
und verhaftet worden war. Weiter
gab er an, dass Boris Weisfeiler lebend
von den Militärs in die Colonia
Dignidad gebracht wurde.« Ob
Mitglieder der Kolonie Weisfeiler
exekutiert haben, wie ein weiterer
Zeuge mutmaßt, bedarf noch der
Aufklärung. Sicher ist: Zepeda
wird sich alle Mühe geben.
* Aus: neues deutschland, Samstag, 25. August 2012
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