Chilenisches Eldorado für Minen-Multis
Goldförderung in Pascua-Lama nimmt auf Umwelt und Indígenas keine Rücksicht
Von Reinhard Babel
Die Minengesellschaft Barrick Gold Corporation schreckt bei der Goldförderung in den Anden
zwischen Chile und Argentinien vor nichts zurück. Sie will einen Gletscher versetzen und nimmt
dabei irreversible Umweltschäden in Kauf. Zudem wird das indigene Volk der Huascoaltinos in
seiner Existenz bedroht.
Es ist die Legende überliefert, dass Pedro de Valdívia, den spanischen Eroberer Chiles und
Stadtgründer Santiagos, ein grausamer Tod ereilte. Als seine Truppen eine empfindliche Niederlage
gegen die Mapuche-Indígenas erlitten, wurde er gefangen genommen und zu einem
symbolträchtigen Tod verurteilt: Man goss ihm flüssiges Gold in den Mund, bis er daran erstickte.
Die Konquistadoren stießen nie auf größere Goldvorkommen.
Fast 500 Jahre nach dem Eintreffen der Spanier glaubt die kanadische Firma Barrick Gold nun doch,
das mythische Eldorado gefunden zu haben. Ihre Suche gestaltete sich vergleichsweise einfach.
Durch moderne Satellitentechnik wurden die größten Goldkonzentrationen im Gestein an einem Ort
ermittelt, der für die spanischen Reiter nur schwer zu erreichen war: in über 5000 Meter Höhe,
mitten in den Anden, auf der heutigen Grenze zwischen Chile und Argentinien.
Das Versetzen der Gletscher
Die Fundorte heißen Pascua und Lama. Barrick gibt die Menge des Goldes mit insgesamt 17,6
Millionen Unzen (knapp 500 Tonnen) an. Außerdem sollen jährlich etwa 30 Millionen Unzen Silber
und 5000 Tonnen konzentriertes Kupfer abgebaut werden. Das Unternehmen will etwa 1,6 Milliarden
Dollar in das Projekt investieren. Die Bodenschätze befinden sich in einer Region, die eine der
höchsten Arbeitslosenzahlen im Land aufweist und bisher fast ausschließlich von Landwirtschaft und
Tourismus lebt.
An eine dauerhafte Beschäftigungswirkung glaubt Lucio Cuenca, der nationale Koordinator des
Observatoriums für Umweltkonflikte in Lateinamerika (OLCA), freilich nicht. »Das Projekt soll
insgesamt nur 17 Jahre laufen, und was ist danach?« OLCA befürchtet, dass das ökologische
Gleichgewicht der Region für immer zerstört wird, womit Landwirtschaft und Tourismus langfristig die
Grundlage entzogen wäre. Wichtigster Kritikpunkt ist der Plan der Minengesellschaft, größere Teile
dreier Gletscher zu verlegen, um die Bodenschätze im Übertagebau ausbeuten zu können.
Insgesamt sollen 20 Hektar Gletscher entfernt und an einem anderen Ort wieder »artgerecht«
platziert werden.
Cuenca versucht seinen Ärger hinter einem Katalog von Argumenten zu verbergen. Nüchtern und
sachlich widerlegt er alle Behauptungen von Barrick. »Das Unternehmen gibt an, Erfahrung im
Versetzen von Gletschern zu haben. Doch es gibt weltweit kein einziges Beispiel, dass ein Gletscher
ohne größere Verluste – oder sogar dessen Verschwinden – erfolgreich versetzt wurde.« Außerdem
arbeite Barrick mit gefährlichen Techniken, die höchstgiftige Substanzen wie Zyankali oder Arsen
freisetzen. Früher oder später verseuchen die das Grundwasser. Dieselben Techniken sind in
Europa verboten.
Eine Folge der neoliberalen Gesetzgebung in Chile ist die De-facto-Privatisierung des Wassers.
Offiziell gilt das Wasser als nationales Gut, das geschützt werden muss. Doch die Kontrolle darüber
hat im Huascotal die »Junta de Vigilancia«, die Vereinigung zur Überwachung des Wassers. Die
Junta funktioniert wie eine Aktiengesellschaft, in der regionale Unternehmer und Großgrundbesitzer
die größten Anteile halten. Im Juli unterschrieben Barrick und ein Großteil der Junta-Vertreter ein
Protokoll. Barrick verpflichtet sich demnach, jährlich 60 Millionen Dollar in den Erhalt der Qualität des
Wassers zu investieren. Die Gesellschaft entschloss sich zu diesem Schritt erst, als das nationale
Umweltministerium CONAMA die Realisierung des Projekts Pascua-Lama an die Bedingung der
Umweltverträglichkeit knüpfte. Allerdings auch das erst nach dem Protest der Talbewohner.
Landwirte hatten die Behörde darauf aufmerksam gemacht, dass im Abbaugebiet der Mine
Gletscher in Gefahr sind.
Die Verteidiger des Tals formieren sich
In Vallenar, der mit 44 000 Einwohnern größten Stadt des Huascotals, organisieren sich Menschen,
die vorher nie etwas mit Politik zu tun hatten, im »Rat zur Verteidigung des Tals«. Astrid Llanos ist
Hausfrau und aktives Mitglied des Consejo de Defensa. Sie klagt an: »Barrick kommt, zahlt und
hinterlässt ein zerstörtes Umweltsystem.« Mirna Inostroza, eine junge energische Frau, ist
Vorsitzende des Rats. Hauptberuflich fungiert sie als Fremdenführerin für Ökotourismus. Sie sieht
das zentrale Problem in der Desinformation der Talbewohner. Niemand wisse, welche
Konsequenzen das Projekt wirklich habe, und alle möchten der Verheißung Glauben schenken,
dass Barrick Arbeitsplätze und Wohlstand in die Region bringe.
Um der Desinformation zu begegnen, haben sich die Kritiker so schnell und gut es ging in die
Einzelheiten des Projekts eingearbeitet. Sie erfuhren zum Beispiel, dass das Projekt auf einem
zweiseitigen Vertrag zwischen Chile und Argentinien beruht, der auf Betreiben von Barrick zustande
kam. Dieses Abkommen soll es ermöglichen, Bodenschätze, die im Grenzgebiet liegen, ohne
Schwierigkeiten abzubauen. Für Mirna Inostroza ist klar: »Das Gebiet Pascua-Lama ist jetzt ein
virtuelles Land, das dem Unternehmen erlaubt, dort seine eigenen Rechte durchzusetzen! Es ist
nicht mehr unser Land!« Tatsächlich kann sich Pascua-Lama zu einem Präzedenzfall entwickeln.
Denn es ist zu erwarten, dass entlang der Grenzlinie der Kordilleren zahlreiche weitere
Bodenschätze entdeckt werden. Nationale und internationale Unternehmen beobachten den Fall
daher mit großem Interesse.
Doch nicht überall im Tal sind die Aktivisten mit ihren Informationen willkommen. Arbeitslose
erhoffen sich eine Anstellung, Kleinunternehmer einen generellen Anstieg der Nachfrage. Der
Besitzer eines Restaurants in Alto de Carmen, einem verschlafenen Dorf, das an einer wichtigen
Weggabelung im Tal liegt, meint, es sei »sowieso egal. Das Tal ist schon längst verschmutzt!«
Todesurteil für die Huascoaltinos?
Im Tal herrscht ein vielseitiges Mikroklima. An den Mündungen der Flüsse im mittleren Norden
Chiles baden Pinguine und auf Plantagen werden hauptsächlich Weintrauben für den Export
angebaut. Die kleineren Bauern in den wärmeren Gegenden des Tals produzieren Bananen,
Avocados, Mangos und Passionsfrüchte. Die Kritiker des Projekts sehen dieses Mikroklima bedroht
und fühlen sich von den Politikern im Stich gelassen. Besonders schmerzlich erfährt das Sergio
Campusano. Er ist Sprecher der Huascoaltino-Indígenas. Die Huascoaltinos sind – anders als etwa
die Mapuche oder die Aymara – bisher nicht offiziell von der Regierung anerkannt worden.
Während zahlreiche Küken zwischen seinen Beinen umherirren, malt Sergio Campusano mit einem
Stock Linien in den sandigen Boden, die die Besiedelung des Tals durch seine Vorfahren
veranschaulichen sollen. Er kennt die Paragraphen der Verfassung auswendig, die seinem Volk
diesen Boden zusprechen. Dennoch werden nun – ohne dass das Projekt endgültig genehmigt ist –
bereits Straßen mitten durch das Territorium der Huascoaltinos gezogen, die den schweren
Lastwagen den Zugang zu Pascua-Lama erleichtern. Angeblich wurde sogar eine Landepiste für
Privatflugzeuge über einem archäologischen Friedhof der Huascaltinos errichtet. Campusano klingt
verbittert. »Valle de Huasco ist das einzige Tal im Norden Chiles, das noch nicht von den
Minengesellschaften verseucht wurde. Es gibt hier einmalige Bedingungen, da der
Grundwasserspiegel sehr hoch ist. Wenn die Mine erst in Betrieb ist, dann wird der Wasserspiegel
sinken und wir können nichts mehr anbauen.«
Tatsächlich gibt Barrick an, 42 Liter Wasser pro Sekunde zu benötigen. Auf der argentinischen Seite
werden es sogar 370 Liter pro Sekunde sein. »Mit dem Projekt Pascua-Lama stirbt unser Volk. Wir
werden verschwinden wie die Azteken«, beschwört Campusano.
Bereits im Jahr 2001 haben die Huascoaltinos Barrick wegen angeblich illegaler Besetzung ihres
Territoriums verklagt. Im Moment liegt die Klage jedoch auf Eis, da die Anwälte sie aus Geldmangel
nicht weiter verfolgen konnten. Sollten die Indígenas Recht bekommen und man erklärt das
Territorium zu schützenswertem Eigentum der Huascoaltinos, wäre das Barrick-Projekt gestorben.
So gibt es noch zwei Hoffnungsfunken für die Gegner des Projekts: Sollte es Barrick nicht gelingen,
schlüssig zu erklären, wie es die Teile der drei Gletscher umweltverträglich versetzen will, könnte
man dem Unternehmen die bereits erteilte Erlaubnis zum Abbau der Bodenschätze wieder
entziehen.
Auf der anderen Seite könnte das transnationale Unternehmen über den Widerstand der 260
verbliebenen Huascoaltinofamilien stolpern. Sergio Campusano weiß, dass er damit fundamentalen
Wirtschaftsinteressen ins Gehege kommt. Trotzdem ist er bereit zu kämpfen und sucht nach
Bündnispartnern jenseits der losen Vernetzung mit anderen Talbewohnern: »Wir brauchen ein
internationales Bewusstsein, damit Druck auf die chilenische Regierung ausgeübt wird. Man soll
wissen: Geld ist in Chile immer willkommen, auch wenn es auf Kosten des Aussterbens indigener
Völker geht!«
Bisher jedoch wird das Schicksal des Huascotals und seiner Einwohner kaum öffentlich diskutiert
und aufgrund des Präsidentschaftswahlkampfes – im Dezember wird gewählt – stehen andere
Themen auf der politischen Tagesordnung.
Sollte den Ureinwohnern Chiles dennoch späte Gerechtigkeit zuteil werden? Werden die
Huascoaltinos an den Widerstand der Mapuche gegen die Spanier anknüpfen? Sergio Campusano
muss über den Vergleich lächeln. Sicher wird diesmal niemandem flüssiges Gold in den Mund
gegossen.
* Aus: Neues Deutschland, 20. Oktober 2005
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