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Neonazis in Chile

Menschenrechtsorganisation enthüllt paramilitärisches Training und Angriffe auf jüdische Gräber. Schwule im Visier der Faschisten

Von Santiago Baez *

Ungehindert von den Behörden können Neonazis in Chile offenbar paramilitärische Trainings durchführen und jüdische Friedhöfe attackieren. Das legen Videoaufnahmen und Fotos nahe, die die »Bewegung zur Integration und Befreiung Homosexueller« (MOVILH) am Donnerstag (Ortszeit) in Santiago veröffentlichte. Auf ihrer Homepage teilte die Organisation mit, das Material sei ihr anonym zugespielt worden und man habe es daraufhin dem chilenischen Geheimdienst ANI übergeben.

Auf dem Video ist zu sehen, wie mutmaßliche Mitglieder der Neonazigruppe »Nationale Ordnungsfront« (FON) militärisch ausgebildet werden. Während einige schwerbewaffnet unter Stacheldraht hindurchkriechen, rufen andere Parolen wie »Reißt ihnen die Augen aus, damit sie euch nicht sehen können!« Die veröffentlichten Fotos zeigen, wie uniformierte Aktivisten der Organisation versuchen, Grabmäler auf einem jüdischen Friedhof zu schänden und mit Hitlergruß posieren.

Die MOVILH forderte den Geheimdienst auf, die Machenschaften der Gruppe umgehend zu untersuchen, um weitere Übergriffe zu verhindern. Die homophoben Aktivitäten der extremen Rechten in Chile waren erst im März größeren Teilen der Bevölkerung bewußt geworden, als eine Gruppe Neonazis den 24jährigen Daniel Zamudio stundenlang mißhandelte, weil er schwul war. Zamudio starb Wochen später an den Folgen der Folterungen. Tausende Menschen gaben ihm am 30. März in Santiago das letzte Geleit.

Schon seit Jahren hatten ­MOVILH und andere Verbände auf die zunehmenden Übergriffe gegen Schwule und andere Minderheiten hingewiesen. Zwischen 2002 und 2012 seien 837 Anzeigen wegen brutaler Attacken auf Homosexuelle bekanntgeworden, darunter 17 Morde, berichtete im März das Onlineportal El Ciudadano. Am Freitag mußte die MOVILH auf ihrer Facebookseite erneut über weitere Übergriffe berichten. So wurde eine junge Frau von Angehörigen ihrer Freundin zusammengeschlagen, weil diese die lesbische Beziehung der beiden nicht akzeptieren wollten. Schon im vergangenen Dezember hatte die Organisation Anzeige gegen die FON erstattet, nachdem diese Plakate mit homophoben, antisemitischen und rassistischen Parolen verbreitet hatte.

Die Neonazis selbst präsentieren sich als verfolgte Unschuld. In einer Erklärung behauptete die FON auf ihrer Homepage, das »körperliche Training« komplettiere die »ideologische Ausbildung« und stelle die Disziplin und Fähigkeiten der Teilnehmer auf die Probe. Dies sei »der einzige Zweck« der Übungen. Sie seien weder illegal, noch dienten sie der Vorbereitung späterer Verbrechen. Die auf den Bildern gezeigten Aktivisten seien bereits 2008 aus der FON ausgeschlossen worden, weil sie die Uniform »unangemessen benutzt« und die Organisation »mit anderen als den offiziell festgelegten Symbolen« präsentiert hätten. Zugleich lobt die FON auf ihrer Internetseite Adolf Hitler als »großen Führer im Dienste Deutschlands«. Vom »deutschen oder historischen Nationalsozialismus« habe man dessen »elementare Prinzipien« übernommen.

Wie in vielen katholisch geprägten Ländern Lateinamerikas ist Homosexualität auch in Chile weitgehend tabuisiert. Erst seit 1998 ist gleichgeschlechtliche Liebe legal, sofern beide Partner über 18 Jahre alt sind. Die Beratungen über ein Antidiskriminierungsgesetz, das auch die sexuelle Orientierung unter Schutz stellt, stagnieren seit Jahren im chilenischen Parlament.

* Aus: junge Welt, Samstag, 21. Juli 2012


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