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Chile: Späte Sühne für Verbrechen

Nach zweimal lebenslänglich nun 15 Jahre Haft für Geheimdienstchef der Pinochet-Diktatur

Von Andreas Knobloch *

Fast auf den Tag genau 35 Jahre nach dem Sturz der sozialistischen Regierung von Salvador Allendes ging in Chile nun ein weiteres Verfahren zu Ende, das den Opfern der Pinochet-Diktatur späte Gerechtigkeit widerfahren läßt. Der Richter Alejandro Solís verurteilte am vergangenen Freitag (5. September) den früheren Chef des Geheimdienstes (Dirección de Inteligencia Nacional – DINA), General a.D. Manuel Contreras, wegen der Entführung des Sozialisten José Orellana im Jahr 1974 zu 15 Jahren Gefängnis. Fünf weitere ehemalige Geheimdienstagenten müssen für die Beteiligung an dem Verbrechen für jeweils fünf Jahre hinter Gitter.

Alle sechs waren beschuldigt, für die Entführung des damals 35jährigen Orellana, der als Pfleger im Krankenhaus Barros Luco Trudeau de Santiago arbeitete, verantwortlich zu sein. Laut Rettig-Bericht, der die Menschenrechtsverletzungen während der Pinochet-Diktatur (1973–1990) dokumentiert, wurde Orellana am 22. Januar 1974 zusammen mit anderen Angestellten in dem Hospital von DINA-Agenten festgenommen und auf den Militärstützpunkt Tejas Verdes im Küstenbezirk San Antonio gebracht. Hier verliert sich seine Spur. Wie die so vieler politischer Gefangener jener Zeit.

Das nun verhängte Urteil ist bereits das dritte durch Richter Solís im Rahmen der Untersuchungen zu den im 110 km südwestlich von der Hauptstadt Santiago gelegenen Tejas Verdes begangenen Verbrechen. Doch die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur gleicht eher einem Geduldsspiel mit am Ende nur wenigen Erfolgen. Die angeklagten Politiker, die sich bisher zu den Vorwürfen geäußert haben, lehnen jede Verantwortung für die Verbrechen ab und beschuldigen die nationalen Polizeidienste. DINA-Chef Manuel Contreras ist einer der wenigen exponierten Vertreter des Pinochet-Regimes, die bisher rechtskräftig verurteilt wurden.

Er war einer der mächtigsten Männer und engsten Vertrauten von Pinochet, mit dem er allerdings nach seiner Verhaftung 1993 brach. Als Geheimdienstchef ist er für viele Morde und Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur direkt verantwortlich. Von 1975 bis 1977 stand er auf der Gehaltsliste der CIA; er gilt zudem als einer der Initiatoren der »Operation Condor«. Unter diesem Codenamen operierten in den 1970er und 1980er Jahren die Geheimdienste von sechs lateinamerikanischen Ländern – Argentinien, Chile, Paraguay, Uruguay, Bolivien und Brasilien – mit dem Ziel, linke oppositionelle Kräfte zu verfolgen und auszuschalten. Mehrere tausend Menschen fielen der Operation Condor zum Opfer, von vielen fehlt bis heute jede Spur.

Am 30. Juni dieses Jahres war Contreras bereits vom selben Richter Solís zu zweimal lebenslänglich Zuchthaus wegen Entführung und zweifachen Mordes an Allendes Armeechef Carlos Prats und seiner Frau Sofía Cuthbert in Buenos Aires 1974 verurteilt worden. Wegen desselben Verbrechens hatte ihn schon 2002 ein Gericht in Argentinien verurteilt, doch Chile hatte das Auslieferungsgesuch des Nachbarlandes abgelehnt.

* Aus: junge Welt, 11. September 2008


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