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Frauenduell um Reformen in Chile

Sozialistische Spitzenkandidatin zur Stichwahl mit Vorsprung und der Hoffnung auf Spaltung der Rechtsallianz

Von Jürgen Vogt, Santiago de Chile *

In Chile muss Michelle Bachelet in die Stichwahl. Auch reicht ihre Mitte-Links-Mehrheit für Verfassungsänderungen nicht.

»Wir haben mit großem Vorsprung gewonnen«, sagt die Sozialistin Michelle Bachelet trotzig. Das Ziel, es im ersten Wahlgang zu schaffen, sei zu »komplex« gewesen. »Jetzt haben die Chilenen die Wahl zwischen zwei verschiedenen Projekten«, kündigte die Kandidatin des Mitte-Links-Bündnisses aus Christdemokraten, Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten nach der Verkündung des Wahlergebnisses der Präsidentenwahlen vom Sonntag an. Sie gibt sich siegessicher und verspricht erneut Reformen.

Zur gleichen Zeit feierte Evelyn Matthei ihren Einzug in die Stichwahl. »Sí se puede – Ja, es geht doch«, skandierten ihre Anhänger. »Das ist ein großer Erfolg«, strahlte die sichtlich erleichterte Kandidatin der Allianz aus strammen Konservativen und Anhängern der Pinochetdiktatur. Chile sei auf einem guten Weg, der nicht durch linken Reformeifer gefährdet werden dürfe, kritisierte sie abermals die Vorhaben Bachelets und gab sich von ihrem Erfolg in der Stichwahl überzeugt.

Mit 46,7 Prozent der Stimmen hat die Sozialistin in der ersten Runde die erforderliche Mehrheit von mehr als 50 Prozent verfehlt. Die rechte Kandidatin Evelyn Matthei schaffte mit 25 Prozent überraschend deutlich den Einzug in die zweite Runde. Auf Platz drei kommt der unabhängige Mitte-Links-Kandidat Marco Enríquez-Onimani mit elf Prozent der Stimmen, dicht gefolgt von dem nach allen Seiten offenen Kandidaten Franco Parisi mit zehn Prozent.

Kaum hatten die Wahllokale am Sonntag um 18 Uhr geschlossen, zeichnete sich der Trend zur Stichwahl ab. Der Frust in Bachelets Lager war unübersehbar. Ihr Auftritt im Pressezelt wurde abgesagt, stattdessen stieg sie auf die Bühne vor dem Hotel, in dem sich das Wahlkampfteam eingemietet hatte. Rund 2000 Anhänger waren gekommen.

Die rund 13,3 Millionen Stimmberechtigten waren am Sonntag erstmals aufgerufen, freiwillig ihre Stimme abzugeben. Seit Ende 2012 ist die Wahlpflicht abgeschafft. Nur 56 Prozent stimmten ab. In absoluten Zahlen erhielt Bachelet knapp über drei Millionen Stimmen, Matthei gut 1,6 Millionen. Die beiden Männer auf Platz drei und vier bekamen zusammen knapp 1,4 Millionen. Beide haben bereits erklärt, in der zweiten Runde nicht für Matthei zu stimmen. Ihren Anhängern wollen sie jedoch nichts empfehlen.

Nach den Ergebnissen der gleichzeitig abgehaltenen Kongresswahlen erhält Bachelets Mitte-Links-Bündnis voraussichtlich 70 der 120 Mandate im Abgeordnetenhaus, sowie 21 von 38 Senatssitzen. Damit ist es zwar in beiden Kammern die stärkste Kraft, für tiefer gehende Reformen verfügt es aber über keine Mehrheit. Für eine Verfassungsreform ist die Zustimmung von mindestens 80 Abgeordneten und 25 Senatoren notwendig.

Chiles extreme Rechte will keine Reformen. Garantin dafür ist Evelyn Matthei. Sie stammt aus dem Teil der Rechtsallianz, der nach wie vor zu Diktator Augusto Pinochet steht. Gelingt es ihr, das rechte Lager zusammenzuhalten, kann sie Reformen verhindern. Bachelet hat mit den Unternehmen eine moderate Anhebung des Steuersatzes abgesprochen. Schwieriger wird es bei der Bildungs- und der Verfassungsreform. Eine Verfassunggebende Versammlung wird selbst in ihren Reihen als Teufelswerk angesehen. Ohne eine Spaltung der Rechtsallianz wird nichts vorangehen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 19. November 2013


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