Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ende der Amnestie

Chile: Nicht länger Straffreiheit für Verbrechen während der Militärdiktatur. KP-Gesetzesvorschläge zu Menschenrechtsfragen

Von Lena Kreymann *

Das Gesetz, mit dem sich in Chile die Funktionäre der Militärdiktatur selbst vor Strafverfolgung schützen wollten, soll es bald nicht mehr geben. Am vergangenen Donnerstag, dem 41. Jahrestag des Putsches gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende, gab die Regierung bekannt, im Parlament verschiedene Anträge zu unterstützen, mit denen das Amnestiegesetz abgeschafft werden soll. Justizminister José Antonio Gómez erklärte, diese seien als dringlich eingestuft worden, und es werde in Kürze Raum für die Auseinandersetzung damit im Kongreß eingeräumt werden. Das 1978 unter dem Diktator Augusto Pinochet beschlossene Dekret 2191 garantiert den Tätern der seit dem Putsch begangenen Verbrechen Straffreiheit.

Wie der lateinamerikanische Fernsehsender TeleSur berichtete, präsentierte Präsidentin Michelle Bachelet dem Kongreß am Donnerstag einen Gesetzesvorschlag zur Aufhebung des Amnestiegesetzes und einen weiteren Entwurf zur Streichung des Paragraphen 93 des Strafgesetzbuchs, nach dem in verschiedenen Fällen die »strafrechtliche Verantwortlichkeit erlischt«, darunter auch im Falle einer Amnestie.

Eine zentrale Rolle in der Debatte spielt nach Angaben des Ministers ein Antrag von 2006, der von Guido Girardi von der sozialdemokratischen Partei PPD und weiteren linken Abgeordneten eingebracht worden war. Nach dem auf der Internetseite des chilenischen Kongresses einsehbaren Entwurf soll das Amnestiegesetz als nicht verfassungsgemäß eingestuft und damit unwiderruflich für ungültig erklärt werden. Des weiteren wird in dem Papier vorgeschlagen, die Möglichkeit der Amnestie und der Verjährung für sämtliche Verbrechen auszuschließen, die von staatlichen Funktionären »während einer Periode konstitutioneller Unterbrechung begangen wurden« und »als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft werden können«. Wie Gómez ausführte, soll durch die neue Regelung die chilenische Gesetzgebung der internationalen angepaßt werden.

Gómez betonte außerdem, die neuen Vorschläge würden »keine wesentliche Änderung« zur gängigen Praxis der chilenischen Gerichte darstellen. Dort werde das Amnestiegesetz derzeit gar nicht angewendet. Eine Änderung beugt also einer Anwendung der Regelung vor und wäre außerdem ein wichtiges Signal an die Verfolgten der Diktatur und deren Angehörige.

Wie die chilenische Internetzeitung El Mostrador berichtete, kommt die Regierung damit auch wiederholt von internationalen Menschenrechtsorganisationen geäußerten Aufforderungen nach. Im vergangenen Juli hatte demnach das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen die Aufhebung der Straffreiheit bei durch die Militärs begangenen Verbrechen angeregt, um so zu bewirken, daß kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch eine »freie Interpretation der Ereignisse« ungestraft bleibe. »Wir glauben, daß man diese Rechtsnorm an die internationalen Standards angleichen muß, denn so wie sie jetzt ist, ist sie der jeweiligen Interpretation unterworfen. Das Amnestiegesetz muß außer Kraft gesetzt werden«, erklärte damals Fabián Omar Savioli, argentinisches Mitglied des Komitees.

In ihrer Rede bei der Gedenkveranstaltung für Salvador Allende bestätigte Bachelet am Donnerstag die Pläne der Regierung, »eine neue Norm einzuführen, die die internationalen Richtlinien und Verträge einhält«. Die Opfer und deren Nachkommen rief sie auf, ihr Schweigen zu den Verbrechen der Militärdiktatur zu brechen: »Viele sind in der Hoffnung auf Gerechtigkeit gestorben, viele haben bis zum Tod geschwiegen. Beenden wir dieses Hoffen voller Schmerz und das ungerechtfertigte Schweigen.«

Wie die Kommunistische Partei Chiles (PCC) auf ihrer Internetseite mitteilte, reichte ihre mit der linken Partei »Izquierda Ciudadana« gebildete Fraktion mit Unterstützung der PPD und der christdemokratischen Partei DC fünf Gesetzesvorschläge ein, die gesetzliche Schwachstellen in Menschenrechtsfragen beheben sollen. Darunter fällt für die PCC etwa die im Gesetzbuch für Militärgerichtsbarkeit nach wie vor festgehaltene Todesstrafe. Außerdem soll die Klassifizierung von Folter internationalen Standards angeglichen und damit auch das Strafmaß angehoben werden.

* Aus: junge Welt, Montag 15. September 2014


Zurück zur Chile-Seite

Zur Chile-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage