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Neues Kabinett

Chile: Präsidentin Bachelet fordert ihre Minister zum Rücktritt auf. Mit einem neuen Team will sie mehrere Sozialreformen umsetzen

Von Lena Kreymann *

Die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet hat am Mittwoch (Ortszeit) ihr gesamtes Kabinett zum Rücktritt aufgefordert. Dies gab sie in einem Interview mit dem chilenischen Fernsehsender Canal 13 bekannt. Sie habe sich jetzt 72 Stunden Zeit genommen, um zu entscheiden, wer Teil der Regierung bleiben solle und wer gehen müsse. Schließlich wolle sie nichts überstürzen.

Auf die Frage, ob sie diese Entscheidung wegen der Korruptionsaffären um ihren Sohn Sebastián Dávalos und den Innenminister Rodrigo Peñailillo getroffen habe, erklärte Bachelet, der Beschluss habe verschiedene Gründe. Es gehe darum, wer sie in dieser neuen Phase ihrer Regierungszeit begleiten solle.

Dávalos hatte im November 2013 mit dem Unternehmer Andrónico Luksic, Vizepräsident der Banco de Chile, einen Kredit von umgerechnet 8,8 Millionen Euro für Caval, die Firma seiner Ehefrau Natalia Compagnon, vereinbart. Die Gelder wurden verwendet, um Boden zu kaufen, der bald darauf an Wert gewinnen sollte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit gegen Dávalos und Compagnon wegen Insidergeschäften und Bestechung, Bachelets Sohn war im Februar dieses Jahres als Leiter der Präsidialabteilung für Soziales und Kultur zurückgetreten. Unter dem Vorfall hatte auch die Beliebtheit der Präsidentin gelitten. Im Interview mit Canal 13 entschuldigte sie sich und erklärte, sie habe die Brisanz der Ereignisse zunächst nicht erkannt und wäre deshalb zu spät aus dem Urlaub in die Hauptstadt Santiago de Chile zurückgekehrt. Gegen Peñailillo, der als »politischer Ziehsohn« von Bachelet gilt, sind wegen Begünstigung eines Unternehmens Ermittlungen eingeleitet haben. Er soll illegal politische Kampagnen finanziert haben.

Der Moderator Mario Kreutzberger konfrontierte Bachelet auf Canal 13 mit ihren Umfragewerten: Während sie ihre erste Legislaturperiode 2010 mit über 80 Prozent Zustimmung beendet habe, läge diese jetzt bei 31 Prozent, über 60 Prozent der Bevölkerung stünden nicht mehr hinter der Präsidentin. Bachelet verteidigte dennoch den grundlegenden Kurs ihrer Regierung. Ziel sei es, Ungleichheit zu bekämpfen. Sie hob die Bedeutung von drei Reformen hervor, mit denen sie für das linke Wahlbündnis »Nueva Mayoría« Präsidentschaftswahlen im November 2013 angetreten war: im Steuerwesen, in der Bildung und der Arbeitswelt.

Die Fiskalreform ist bereits im September vergangenen Jahres vom Parlament beschlossen worden. Sie sieht vor, noch aus der Militärdiktatur stammende Finanzschlupflöcher für Unternehmen zu schließen, die Steuerlast besser zu verteilen und staatliche Mehreinnahmen zu schaffen, die vor allem in Bildung investiert werden sollen. Diese ist aufgrund des ausgeprägten Systems von privaten Schulen oft ein Privileg der reicheren Bevölkerung. Die Regierung von Bachelet will kostenlose weiterführende Schulen schaffen und umfassende Bildung auch für Ärmere ermöglichen. Im Januar ist ein entsprechendes Gesetz bereits verabschiedet worden. Bachelet wies darauf hin, dass als Nächstes die Arbeitsbedingungen der Lehrer verbessert und ihre Gehälter erhöht werden sollen. Im den kommenden Monaten soll außerdem das neue Arbeitsgesetz beschlossen werden.

Die Präsidentin räumte aber auch Fehler ein. Es sei in den Monaten seit Regierungsanstritt im März 2014 nicht gelungen, die Bedeutung der Gesetzesvorhaben für die Bevölkerung zu vermitteln. Deren Lage werde sich dadurch wesentlich verbessern, die Reformen seien aber bisher nicht verstanden worden. Sie sprach außerdem von einer schweren Vertrauenskrise in Chile. Diese sei insbesondere durch Unternehmer und politische Eliten verstärkt worden, die ihre Privilegien gefährdet sehen.

Schon in den letzten Wochen war mit der Kabinettsumbildung gerechnet worden. Bachelet erklärte, sie hätte diesen Schritt insbesondere wegen der Situation in den Regionen Atacama und Calbuco nicht früher getan. Dort war im April ein Vulkan ausgebrochen und hatte die Gebiete in den Ausnahmezustand gestürzt. Guillermo Teillier, Vorsitzender der Kommunistischen Partei Chiles, die Teil der Regierungskoalition ist, erklärte am Donnerstag in einer im Internet veröffentlichten Stellungnahme: »Wir vertrauen darauf, dass die Präsidentin den Kurs der Reformen beibehält und ihr Programm noch besser verwirklicht. Ein Ministerwechsel weckt diese Hoffnung in der Bevölkerung.«

* Aus: junge Welt, Freitag, 8. Mai 2015


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