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Eine Bedrohung für die Nachbarn? Die Modernisierung der chinesischen Streitkräfte

Ein Beitrag von Ruth Kirchner in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Joachim Hagen (Moderation):
Im Mittelpunkt dieser Sendung stehen die Rüstungsausgaben in Zeiten knapper Kassen. In Frankreich waren harte Einschnitte für das Militär schon angekündigt, wurden dann aber doch nicht vollständig durchgesetzt. Und auch das amerikanische Militär muss sparen. Nur in China steigen die offiziellen Verteidigungsausgaben jedes Jahr um eine zweistellige Prozentzahl. Was damit gekauft und welche Strategie damit verfolgt wird, da wollen sich Chinas Militärs nicht in die Karten sehen lassen. Aber gerade diese Geheimniskrämerei verunsichert die Nachbarn Chinas. Unsere Korrespondentin Ruth Kirchner berichtet.


Manuskript Ruth Kirchner

Eine Militärübung im südchinesischen Meer. Das Staatsfernsehen zeigt Marine-Soldaten, moderne Fregatten, neue Waffen. Solche Demonstrationen der Stärke gehören seit Monaten zum Alltag. China will zeigen: wir sind nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine militärische Macht. Gerade in die Modernisierung seiner Marine habe China in den letzten Jahren viel Geld gesteckt, sagt Stephanie Kleine-Ahlbrandt von der International Crisis Group.


O-Ton Stephanie Kleine-Ahlbrandt:

„China ist seit langem sehr konsequent in seinen Zielen. Es hat seit mehreren Jahren deutlich gemacht, dass es sich umorientiert, um eine Seestreitmacht zu werden. Das hat der alte Staats- und Parteichef Hu Jintao wiederholt gesagt, das hat der Neue, Xi Jinping, wiederholt. Eigentlich gibt es da keine Veränderung. China will Kontrolle über seine Region gewinnen.“

Was sich jedoch verändert hat: Mit seiner wirtschaftlichen Stärke hat China erstmals die Möglichkeit, dieses Ziel zu realisieren. Für die Volksrepublik haben sich zudem die Bedrohungsszenarien geändert. Ging es früher darum, die langen Landesgrenzen zu sichern, sehen Pekings Militärstrategen heute die Bedrohung auf hoher See: beim Streit mit Japan um die unbewohnten Diaoyu-Inseln, die von den Japanern Senkaku genannt werden, bei den Konflikten um die Kontrolle des südchinesischen Meeres, das China fast komplett für sich beansprucht. Und im Gerangel mit den USA um die Vorherrschaft im Pazifik. China verteidigt seine Ansprüche deutlich selbstbewusster als früher. Erst kürzlich drohten Staatsmedien den Philippinen im Streit um ein Riff bei den Spratley-Inseln unverhohlen mit Krieg. Selbst die eher zurückhaltende Außenamtssprecherin Hua Chunying wurde deutlich.

O-Ton Hua Chunying:
„China hat ohne Frage Anspruch auf die Spratley Inseln und die Gewässer drumherum. Unser Wille, unsere nationale Souveränität zu verteidigen, ist unerschütterlich.“

Dass China auf hoher See aufrüstet, wurde auch im jüngsten Jahresbericht des Pentagon deutlich, der ein detailliertes Bild der technologischen Entwicklung und strategischen Ausrichtung der Volksbefreiungsarmee zeichnete. Von der wachsenden Bedeutung der chinesischen Marine war die Rede, von Atom-U-Booten, Zerstörern und Anti-Schiffsraketen sowie von ballistischen Kurz- und Langstreckenraketen. Vor allem der Mangel an Transparenz sei beunruhigend. Die Regierung betont jedoch, die Aufrüstung sei ganz normal.

O-Ton Hua Chunying:
„Das Pentagon veröffentlicht jedes Jahr diese Art von Bericht, erhebt unverantwortliche Vorwürfe gegen den normalen und gerechtfertigten Ausbau von Chinas Verteidigung – und übertreibt die angebliche militärische Bedrohung durch China.“

Außer bei Seemanövern werden Chinas neue Waffen selten öffentlich vorgeführt. Ausnahme: Im letzten Sommer durften Journalisten eine Kampfhubschrauber-Einheit der Volksbefreiungsarmee besuchen. Allerdings waren die Luftwaffe-Soldaten alles andere als auskunftsfreudig und wollten nicht einmal verraten, wo sie stationiert sind.

O-Ton Soldat:
„Wir müssen in kürzester Zeit einsatzbereit sein. Was Ihre anderen Fragen angeht, kann ich diese derzeit nicht beantworten.“

Die Journalisten standen daher etwas ratlos vor den Kampf-Hubschraubern. Einer, der sich mit der chinesischen Luftwaffe auskennt, ist Bradley Parret vom Fachblatt „Aviation Week“.

O-Ton Bradley Parret:
„Im Bereich der Hubschrauber macht China mehr Fortschritte als in anderen Bereichen des Flugzeugbaus. Was den Unterschied zwischen zivilen und militärischen Helikoptern angeht, da geht es vor allem um die Verteidigungselektronik und die Waffensysteme – aber was den reinen Hubschrauber angeht, ohne die Ausrüstung, da werden die Chinesen immer besser.“

Darüber hinaus steckt die Volksrepublik viel Geld in die Entwicklung moderner Kampfjets – darunter eigene Tarnkappenbomber. Den Amerikanern hinkt China dabei 15 bis 20 Jahre hinterher, holt aber rasch auf. Und: eine rasante Beschleunigung scheint es auch bei der Entwicklung von Kampfdrohnen zu geben.

Sehr viel offener geht China mit diesem Projekt um: seinem ersten Flugzeugträger, der für die Demonstration der neuen Macht und Stärke auf See wichtig ist: Die „Liaoning“ wurde letztes Jahr in den Dienst gestellt. Sie stammt aus den Restbeständen der Sowjetunion und wurde in China jahrelang umgebaut. Dem Stolz der Nation tut das keinen Abbruch. Unter der Führung von Xi Jinping ist von der „Renaissance der großen chinesischen Nation“ die Rede. Wenn es nach Generalmajor Luo Yuan ginge, einem bekannten Falken in der Volksbefreiungsarmee, steckt dahinter auch der Traum von einer militärischen Großmacht.

O-Ton Luo Yuan:
„Um ein starkes Land aufzubauen, brauchen wir ein starkes Militär. Wenn das Militär nicht stark genug ist, kann das Land zwar reich werden, aber niemals stark. Für den Aufbau eines starken Militärs muss man Kriege mögen, man braucht dafür Patriotismus und revolutionäres Heldentum.“

Dass der Generalmajor kürzlich sogar vor ausländischen Journalisten auftrat, zeigt das neue Selbstbewusstsein der Hardliner, die seit dem Führungswechsel an der Spitze der Kommunistischen Partei Oberwasser haben. Noch weiter hervor wagt sich dieser pensionierte Oberst, Liu Mingfu.

O-Ton Liu Mingfu:
„China hat große Fortschritte bei der Entwicklung seiner Marine und seiner strategischen Luftwaffe gemacht. Unsere Armee ist voller Kampfgeist und bereit zum Krieg. Aber unsere Militärausgaben sind nicht hoch genug. Die USA sind kleiner als China, aber ihre Militärausgaben sind vier- bis fünfmal so hoch. Das ist nicht ausgewogen, der Unterschied ist zu groß. China muss mittelfristig mit den USA gleichziehen, aber seine Militärausgaben zunächst einmal verdoppeln.“

Solche Äußerungen spiegeln zwar nicht die Regierungslinie wieder, werden aber von der neuen Führung toleriert. Und sie wecken Ängste in der Region vor einer neuen, aggressiven Großmacht China. Umso mehr flüchten Anrainerstaaten wie die Philippinen, Japan oder Südkorea unter den Schutzschirm ihres traditionellen Verbündeten, der USA. Die wiederum haben mit ihrer neuen Asienstrategie, deutlich gemacht, dass sie sich ihre Rolle als Ordnungsmacht im Pazifik nicht streitig machen lassen wollen. Doch in China sieht man die Hinwendung der Amerikaner nach Asien als Versuch, die Volksrepublik klein zu halten. Selbst gemäßigte Kommentatoren bezeichnen die USA als Unruhestifter. Jin Canrong von der Volksuniversität Peking.

O-Ton Jin Canrong
„Ohne die Rückkehr der USA nach Asien hätten sich die anderen Länder in der Region wie die Philippinen und Japan weiterhin ruhig und vernünftig verhalten. Denn die territorialen Konflikte existieren ja schon seit langem. Warum machen sie jetzt so viel Ärger. Das ist doch nur weil die USA sich wieder Asien zuwenden. Deshalb machen die Chinesen die USA verantwortlich.“

In den Nachbarstaaten sieht man das anders. China habe das Südchinesische Meer militarisiert, heißt es beispielsweise in Manila. Doch Jin Canrong sieht China als Opfer.

O-Ton Jin Canrong
„Leute von außerhalb sehen ein aggressiveres und selbstbewussteres China. Aber in China herrscht die Auffassung vor, dass die Probleme nicht von uns, sondern von den anderen provoziert wurden. China ist das Opfer. China will keine Konfrontation, ist aber gezwungen zu reagieren.“

Politikwissenschaftler sprechen von Reaktiver Selbstbehauptung. Gerade in den Konflikten mit Japan und im südchinesischen Meer reagiere China auf kleinere Provokationen mit überproportionaler Härte. So ist beispielsweise die Präsenz von militärischen Patrouillenbooten im Südchinesischen Meer jetzt normal und die Gefahr einer zufälligen Eskalation damit deutlich gestiegen. Gleichzeitig sind die Spielräume für die Regierung in Peking, Konflikte auf diplomatischem Wege zu lösen, kleiner geworden. Denn die neue Führung hat mit ihren Rückgriffen auf den Nationalismus innenpolitisch große Erwartungen geweckt. Das, kombiniert mit Chinas undurchsichtigem politisch-militärischen Komplex, trägt wenig dazu bei, der Region die Angst vor dem aufstrebenden China zu nehmen.

* Aus: NDR Info STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 13. Juli 2013; www.ndr.de/info


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