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China möchte nur Gewinner sehen

Merkel darf wichtige Debatte einleiten

Von Werner Birnstiel *

Fast 40 Staats- und Regierungschefs werden zum 7. ASEM-Gipfel erwartet, der am Freitag und Sonnabend (24./25. Okt.) in Peking tagt. Keine Frage, dass sich auch dieser Gipfel mit der Krise auf den Finanzmärkten beschäftigen wird.

Bundeskanzlerin Angela Merkel darf die Debatte zu diesem Thema eröffnen. Schon am heutigen Donnerstag (23. Okt.) wird sie mit ihrem chinesischen Amtskollegen Wen Jiabao, tags darauf mit Staatspräsident Hu Jintao sprechen.

Nicht dass China von der Krise auf den Finanzmärkten unberührt bliebe, doch für Peking ist dieses 7. »Asia-Europe Meeting« (ASEM) in erster Linie ein weiterer Beweis für das wachsende Gewicht, das China in die Waagschale der internationalen Politik zu legen hat. So wie erst jüngst die Olympischen Spielen gezeigt haben, was das Reich der Mitte zu leisten imstande ist.

Das Gipfelmotto kommt in modischem Wirtschaftsvokabular daher und lautet: »Vision und Aktion: Der Win-Win-Lösung entgegen.« Den Gastgebern geht es demnach um Lösungen für globale Probleme - Finanzkrise, Energie, Kilmawandel, Getreidesicherheit -, die niemanden auf der Verliererseite sehen, aus denen vielmehr alle Beteiligten ihren Nutzen ziehen. Früher sprach man schlicht vom gegenseitigen Vorteil.

Angela Merkel fliegt als Bundeskanzlerin bereits zum dritten Mal nach China, allerdings ist es ihr erster Besuch nach dem Empfang des Dalai Lamas im Berliner Kanzleramt, der Chinas Spitzenpolitiker nicht nur überraschte, sondern verstimmte und eine Abkühlung der deutsch-chinesischen Beziehungen provozierte. Der Dialog sei jedoch nie abgebrochen, beteuert man in Berlin, und auch in Peking ist man - siehe oben - um »Win-Win-Lösungen« bemüht, wofür die Wirtschaftsbeziehungen als Beispiel gelten.

Seit 2006 ist die EU Chinas größter Handelspartner, umgekehrt nimmt China auf der Liste der EU-Partner seit dem vergangenen Jahr den zweiten Platz ein. Das Handelsvolumen wuchs von 257,6 Milliarden Euro im Jahre 2006 auf 302 Milliarden Euro im Jahre 2007. Die Bundesrepublik nahm in beiden Jahren innerhalb der EU den Spitzenplatz ein: Ihr Import aus China belief sich 2007 auf 54,649 Milliarden, der Export auf 29,923 Milliarden Euro.

Zwar scheint die Frage, ob und wie stark die derzeitige globale Finanzkrise die Entwicklung der »realen« Wirtschaft und folglich auch den Handel beeinträchtigt, alle anderen Themen zu überlagern. Doch nach wie vor geht es den in Peking anwesenden Staats- und Regierungschefs Asiens und Europas darüberhinaus um transparente und faire Regeln für den Zugang zu Märkten, um den Schutz geistigen Eigentums und um ökologische Nachhaltigkeit. Immer noch, in wachsendem Maße und politisch »begründet«, beeinflussen verschiedene Formen von Protektionismus den Austausch. Die EU beklagt, dass das Ungleichgewicht im Handel mit China weiter wächst: 2007 erzielte das Reich der Mitte einen Überschuss von 159 Milliarden Euro. Andererseits wird eine völlig ausgeglichene Handelsbilanz weder politisch angestrebt, noch ist sie in Zeiten der globalen Konkurrenz durchzuhalten.

Überdies sieht sich Peking in dieser Diskussion nicht in der Defensive. Die chinesische Argumentation: Durch den Strom preisgünstiger Waren aus China auf den europäischen Markt steige der Wohlstand der Europäer, weil auch ärmere Verbraucher attraktive Güter kaufen können, die Kosten für die Deckung der Grundbedürfnisse sinken und letztlich mehr Geld für den Kauf höherwertiger europäischer Erzeugnisse und Dienstleistungen zur Verfügung steht. Zudem werde die Inflation gedämpft.

So werden das Handelsungleichgewicht und die Beschränkung des Zugangs zum chinesischen Markt wohl dauerhaft politische und ökonomische Zankäpfel bleiben. Denn es ist der politische Wille der chinesischen Führung, in einigen Bereichen keine Dominanz ausländischer Anbieter zuzulassen. Das gilt für den Banken- und Versicherungssektor, aber auch für den Einzelhandel und die Telekommunikationsbranche. Möglicherweise wird die derzeitige Finanzkrise diesbezüglich zu größerer Flexibilität beitragen, im Grundsatz aber wird Peking auf dieser Position beharren.

China hatte Mitte 2008 etwa 520 Milliarden seiner auf 1,8 Billionen Dollar geschätzten Devisenreserven in US-Schatzbriefen angelegt. Welche finanziellen Verluste daraus erwachsen, wird sich noch zeigen. Politisch beachtenswert ist jedoch, dass die USA unter noch größeren Druck geraten, falls Peking seine Devisenreserven in US-Dollar erheblich verringert und über ein größeres Spektrum von Währungen verteilt. Hauptnutznießer könnte in diesem Fall die EU sein. Der 7. ASEM-Gipfel könnte zumindest Anhaltspunkte dafür liefern.

In jedem Fall ist die gegenwärtige Entwicklung ein Beleg dafür, dass sich unter den Bedingungen der Globalisierung die nichtmilitärische Konkurrenz auch zwischen Europa und den Staaten Asiens, darunter China, verschärfen wird. Daher werden immer wieder Kompromisse zu suchen sein, was den politischen Willen und die Fähigkeit zur Lösung ökonomischer Konflikte voraussetzt. Jegliche Verunglimpfung oder Herabsetzung des Konkurrenten aus politischen Gründen erschwert den Dialog darüber ebenso wie über die überlebenswichtigen Themen Klimawandel, Umweltschutz und Ernährungssicherheit. Die Folge wären Situationen ohne Gewinner, nur mit Verlierern.

ASEM

Das Asien-Europa-Treffen (Asia-Europe Meeting -- ASEM) ist ein Dialogforum europäischer und asiatischer Staaten. Es dient multilateralen Gesprächen über die Zusammenarbeit in Wirtschaft, Politik, Bildung, Kultur, Umwelt- und Klimaschutz.

1994 hatte der damalige Premierminister von Singapur, Goh Chok Tong, seinem französischen Amtskollegen Édouard Balladur das »Konzept eines Asien-Europa Gipfels« vorgeschlagen, um die Beziehungen zwischen beiden Kontinenten zu vertiefen. Die ersten Beratungen fanden im März 1996 statt. Beteiligt waren die 15 damaligen EU-Mitgliedstaaten, die EU-Kommission, die sieben damaligen Mitglieder der Vereinigung Südostasiatischer Nationen (ASEAN), Japan, China und die Republik (Süd-)Korea.

Die Zahl der Teilnehmer wuchs mit der Erweiterung der EU (inzwischen 27 Staaten) wie auch der ASEAN (10). Überdies wurde 2006 in Helsinki die Aufnahme Indiens, der Mongolei, Pakistans und des Sekretariats der ASEAN beschlossen. Mit dieser Erweiterung umfasst ASEM gegenwärtig 43 Staaten und zwei Organisationen. In den Mitgliedstaaten lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung.

Kernstück des europäisch-asiatischen Dialogs sind die Gipfeltreffen, die alle zwei Jahre abwechselnd in Asien und Europa stattfinden. Bisher tagte man in Bangkok (1996), London (1998), Seoul (2000), Kopenhagen (2002), Hanoi (2004) und Helsinki (2006). Peking richtet in diesem Jahr den 7. Gipfel aus. Regelmäßig -- meist jährlich -- kommen auch die Außenminister sowie die Minister für Wirtschaft, Finanzen, Umwelt, Einwanderung und Technologie zu Beratungen zusammen.

Aus dem ASEM-Prozess sind mittlerweile zwei Unterorganisationen hervorgegangen: die Asien-Europa-Stiftung (ASEF) mit Sitz in Singapur und ein Umwelttechnologiezentrum in der thailändischen Hauptstadt Bangkok.

ND/ddd



* Aus: Neues Deutschland, 23. Oktober 2008


Krisentreffen in Peking

Rezessionsängste West, lahmendes Wachstum Ost: EU-Asien-Gipfel im Schatten der Finanzmisere

Von Wolfgang Pomrehn ** In Chinas Hauptstadt Peking kommen heute und morgen die Staats- und Regierungschefs der EU mit ihren Kollegen aus den wichtigsten asiatischen Ländern zu einem Gipfel zusammen. Ursprünglich hatten auf der Tagesordnung dieses alle zwei Jahre stattfindenden Asien-Europa-Treffens (ASEM) ganz oben die internationalen Verhandlungen über Klimaschutz stehen sollen. Doch nach dem Ausbruch der Bankenkrise werden die Turbulenzen an den Finanzmärkten im Vordergrund der Gespräche stehen.

Erst am gestrigen Donnerstag waren die Börsen in der Region erneut abgesackt. In der südkoreanischen Hauptstadt Seoul büßte der dortige KOSPI-Aktienindex 7,5 Prozent ein, in Hongkong verlor der Hang-Seng-Index 3,55 Prozent, wobei Unternehmen aus der Volksrepublik besonders schlecht abschnitten, in Japan machte der Nikkei-Index ein Minus von 2,5 Prozent. Im Laufe des Tages hatten in Tokio die Aktien sogar durchschnittlich um über fünf Prozent an Wert verloren, sich dann jedoch wieder etwas erholt. In Japan geht inzwischen die Angst vor einer Rezession um, nachdem die Exporte zuletzt nur noch um 1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr gewachsen waren.

Auch in China lahmen die Ausfuhren. Nachdem sie in zurückliegenden Jahren oft jährlich um 20 Prozent und mehr gewachsen waren, ging es in den ersten drei Quartalen 2008 nur noch um 4,5 Prozent bergauf. Die Regierung versucht, den Absatzschwierigkeiten auf dem Weltmarkt mit Steuergeschenken an die Exporteure zu begegnen. Hersteller in der Textil- und Spielzeugindustrie bekommen wieder Nachlässe bei der Mehrwertsteuer und andere Erleichterungen.

Diese Maßnahmen könnten auf dem ASEM-Treffen für Streit sorgen, denn sie waren in den letzten Jahren abgeschafft worden, um der Kritik am wachsenden Handelsbilanzüberschuß der Volksrepublik zu begegnen. Im deutschen China-Handel waren aber zuletzt die hiesigen Ausfuhren mit 20 Prozent wesentlich stärker gewachsen als die Einfuhren, die 2007 nur um rund vier Prozent zulegten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist bereits am gestrigen Donnerstag nach Peking gereist und traf sich dort mit Ministerpräsident Wen Jiao Bao. Begleitet wird sie unter anderem von BDI-Präsident Jürgen Thumann sowie von Vertretern der Siemens AG, der ThyssenKrupp AG und der Daimler AG. Wegen der Reszessionsgefahren in den USA und Westeuropa hoffen die Wirtschaftsführer des überproportional auf Export orientierten Deutschland auf einen robusten asiatischen Aufschwung. Der soll sie vor einem deutlichen Absturz bewahren.

Merkel will nach Angaben aus Regierungskreisen in Peking auch für den Weltwirtschaftsgipfel werben, der für Ende des Jahres geplant ist. Die Bundesregierung tritt dafür ein, daß neben den in der G8 versammelten großen Industriestaaten und Rußland auch Indien, China sowie einige andere wichtige Schwellenländer beteiligt werden.

** Aus: junge Welt, 24. Oktober 2008


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