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Automatisierungsschub

Im kommenden Jahr wird die Volksrepublik China zum weltweit wichtigsten Absatzmarkt für Industrieroboter aufsteigen

Von Tomasz Konicz *

Im August 2011 kündigte Foxconn-Chef Terry Gou in seinem Konzern – der als Auftragshersteller die IT-Produkte vieler Hightechunternehmen fertigt – eine technologische Revolution an. Rund eine Million Roboter sollen bis 2014 die Heerscharen der 1,2 Millionen chinesischen Arbeiter weitgehend ersetzen, die derzeit unter härtesten Bedingungen die Lifestyle-Gadgets von Apple und Co. für einen erbärmlichen Hungerlohn fabrizieren. Diese großspurige Ankündigung stellte auch eine Reaktion auf eine Selbstmordserie unter den gestreßten Foxconn-Arbeitern dar, die international für Schlagzeilen sorgte und das brutale Arbeitsregime im Konzern in Verruf brachte.

Bis Ende 2012 wurden in den Fabriken des Unternehmens rund 30000 Industrieroboter installiert. Bei diesen sogenannten Foxbots handelt es sich um günstige Geräte, die umgerechnet gerade mal 18000 bis 20000 Euro kosten und nur für einfache Aufgaben geeignet sein sollen. Damit bleibt der Konzern bei seiner Automatisierungsoffensive weit hinter dem von Gou vorgegebenen Zeitplan zurück. Um bis Ende 2014 tatsächlich eine Million Industrieroboter konzernweit zu installieren, sollten laut ursprünglichen Planungen in diesem Jahr schon 300000 »Foxbots« die einfachsten Arbeitsschritte von den Arbeitern übernehmen.

Unerhörte Dynamik

Trotz dieser Verzögerungen bei einem der wichtigsten »Arbeitgeber« im chinesischen Exportsektor, illustrieren dessen Automatisierungsbemühungen einen gesamtwirtschaftlichen Trend in der Volksrepublik. Laut dem Branchenverband der Automatisierungsindustrie, der International Federation of Robotics (IFR), wird China in dem kommenden Jahr zum weltweit wichtigsten Markt für Industrieroboter aufsteigen. Derzeit befinde sich die Volksrepublik bereits vor den USA und liege nur noch hinter Japan und Südkorea. Der jährliche Absatz von industriellen Automatisierungssystemen habe sich zwischen 2006 und 2011 vervierfacht.

In der 50jährigen Geschichte der Industrieautomation habe es »noch nie ein Land mit solch einer Dynamik bei der Installation von Robotern in solch einer kurzen Zeitspanne gegeben«, hieß es in einer Erklärung der in Frankfurt am Main ansässigen IFR Mitte 2012. Der Nachholbedarf Chinas, dessen Exportwirtschaft auf dem massenhaften Einsatz billiger Arbeitskraft aufgebaut wurde, ist in der Tat gewaltig. Laut der staatlichen Zeitung China Daily finden sich in der Volksrepublik bislang nur 21 Roboter auf 10000 Arbeiter, während es im globalen Durchschnitt rund 55 seien. Im weltweit bei der Automatisierung führenden Japan sind es den Angaben zufolge sogar 339 Roboter, in Deutschland 251.

Diese sich beschleunigende Tendenz zur Ersetzung menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen ist hauptsächlich auf das steigende Lohnniveau in China zurückzuführen. In Reaktion auf die im Land zunehmenden sozialen Unruhen und Streiks propagiert die politische Führung verstärkt eine Abmilderung der enormen Abgründe zwischen der reichen Staatsoligarchie und den verarmten Massen von Wanderarbeitern. So kündigte Premier Wen Jiabao Anfang Februar die Einführung eines variablen Mindestlohns an, der bei 40 Prozent des Durchschnittseinkommens liegen soll. Damit dürften auch die rund 160 Millionen Wanderarbeiter, deren billige Arbeitskraft die Grundlage des exportgetriebenen chinesischen Booms darstellt, endlich von den prognostizierten Steigerungen des Lohnniveaus in der Volksrepublik profitieren, das laut Expertenschätzungen binnen der kommenden Jahre sich sogar verdoppeln könnte.

Um weiterhin international konkurrenzfähig zu bleiben, haben Chinas Exportunternehmen anfangs vor allem auf eine Verlagerung der Produktion nach Westen, ins unterentwickelte chinesische Binnenland, gesetzt. Doch inzwischen sind auch in dieser Region die Lohnkosten am Steigen, während die Transportkosten zu den Häfen im Osten einen guten Teil der Lohneinsparungen auffressen. Somit treiben die zunehmenden sozialen Widersprüche und Arbeitskämpfe die Automatisierung insbesondere in der Automobilindustrie voran. Diese wurde 2010 von einer massiven Streikwelle erfaßt, in deren Verlauf deutliche Lohnerhöhungen durchgesetzt werden konnten. Diese Arbeitskämpfe stellten eine Art Wendepunkt dar, der ein Ende der Ära unschlagbarer Billigstlöhne in der chinesischen Exportindustrie einläutete.

Investition amortisiert sich

Hao Jianjun, Manager des chinesischen Autoherstellers Geat Wall, schilderte die Reaktion seines Konzerns auf diese Lohnsteigerungen gegenüber der Zeitschrift BusinessWeek: »Mit der Automatisierung können wir unseren Personalbestand reduzieren und viel Geld sparen.« Sein Unternehmen habe 161 Millionen US-Dollar in die Installation von 1200 Robotern investiert; zugleich seien rund 1000 Arbeiter entlassen worden. »Diese Investitionskosten werden sich in drei Jahren durch die Einsparungen beim Lohn amortisiert haben«, erklärte Hao Jianjun. Dabei können aufgrund der enormen technologischen Fortschritte schon relativ kleine Investitionen zu enormen Rationalisierungseffekten führen, wie das Beispiel des in Hongkong ansässigen Textilherstellers Milo’s Knitwear International illustriert. Nur 1,9 Millionen US-Dollar mußte das Unternehmen in sechs japanische Nähroboter investieren, um die Belegschaft in einer Fabrik von 140 Arbeitern auf sechs Beschäftigte reduzieren zu können.

Diese konkurrenzvermittelte Verdrängung lebendiger Arbeit aus dem Produktionsprozeß könnte die Konkurrenzfähigkeit der chinesischen Exportindustrie tatsächlich retten, doch mit zunehmender Automatisierung dürfte auch die Massenarbeitslosigkeit innerhalb der Millionen ungelernter Wanderarbeiter zunehmen, die derzeit noch in den Fabriken ein elendes Auskommen finden. China dürfte somit auch in dieser Hinsicht mit den Zentren der Weltwirtschaft im Westen gleichziehen, die ja seit Krisenausbruch von einer regelrechten Krise der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft heimgesucht werden.

In gewisser Hinsicht kann die Entwicklung Japans, das zu Beginn der 80er Jahre einen ähnlichen Automatisierungsgrad aufwies wie das heutige China, Auskunft über die Folgen der Automatisierung auf eine kapitalistische Volkswirtschaft liefern. Nach einer Phase stürmischer Expansion in den 80ern brach das japanische Wirtschaftswunder ab 1989 in einer Immobilienblase zusammen. Seit den frühen 90er Jahren befindet sich die am weitesten automatisierte Wirtschaft der Welt in Stagnation und Deflation.

* Aus: junge Welt, Freitag, 15. Februar 2013


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