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Viele Autos für China

Asiatisches Boomland bleibt Exportmarkt Nummer eins der globalen Automobilindustrie. Doch einheimische Hersteller holen rasant auf

Von Hellmuth Tatus *

Audi erzielte im Februar einen neuen Rekord: Mit 31352 Fahrzeugen stieg der Absatz der VW-Tochter in der Volksrepublik China im Vergleich zum Vorjahr um 66 Prozent. So war es in der Pressemeldung aus Ingolstadt, dem Sitz der Unternehmenszentrale in Deutschland, und aus Changchun, dem Standort des Joint-Venture von Volkswagen und der chinesischen First Automotive Works (FAW)-Volkswagen, am 5. März zu lesen. Ähnliche Erfolgszahlen werden schon seit Jahren verkündet, nicht nur von deutschen Herstellern, sondern nahezu alle Automobilkonzerne weltweit beteiligen sich an dem Run. Kein Geschäftsbericht vergißt zu erwähnen, daß China der wichtigste Absatzmarkt ist. Es kümmert die Unternehmenslenker keineswegs, daß sie die Wirtschaft der kommunistisch regierten Volksrepublik damit stärken, solange es ihrem Profit dient. Die sonst gern angeprangerten »Menschenrechtsverletzungen« werden nicht zur Sprache gebracht.

Die Bedeutung dieses Marktes nimmt noch zu angesichts der ersten Anzeichen einer weiteren solchen Absatzkrise, wie sie die Branche 2009 erlebte. Da in den USA und Westeuropa eine wesentliche Steigerung der Fahrzeugzahlen kaum mehr möglich ist, setzten die Manager neben Indien vor allem auf China als einen noch ungesättigten Markt. In Westeuropa werden derzeit 600, in den USA sogar 800 Fahrzeuge pro 1000 Einwohner gezählt. Insofern gibt es in den beiden riesigen Schwellenländern tatsächlich aus der Sicht der Industrie noch einiges an Auto zu verkaufen. So liegt die Ausstattung in China und Indien erst bei 34 bzw. 14 Pkw auf 1000 Einwohner. Zwar sind sie auch in der Volksrepublik Pkw vorerst noch den wohlhabenden Bevölkerungsschichten vorbehalten, aber die Motorisierung wächst. In dem mit 1,3 Milliarden Einwohnern bevölkerungsreichsten Land der Erde konnten im Krisenjahr 2009 13,8 Millionen Fahrzeuge abgesetzt werden – mehr als in den USA. Hinter Japan mit einem Marktanteil von 24,85 Prozent belegen die deutschen Autobauer (19,25 Prozent) derzeit in China Platz zwei, gefolgt von den USA mit 13,01 Prozent.

Die meisten dort verkauften Wagen werden im Lande von Joint-Ventures hergestellt. Etwa 80 derartige Gemeinschaftsunternehmen ausländischer mit einheimischen Betrieben gibt es derzeit im Reich der Mitte. Und alle Großen der Branche sind beteiligt – ob nun VW, Daimler oder BMW aus Deutschland, die US-Riesen Ford und General Motors, oder Europas »Mittelstand« mit Fiat, Peugeot-Citroën und Renault. Stark präsent sind Japans Toyota, Nissan, Honda, Mazda und Suzuki, aber zunehmend auch der aufstrebende koreanische Hyundai-Konzern. Dabei behält Peking immer das Heft in der Hand – die Regierung kontrolliert die Joint-Ventures und läßt keine Mehrheitsbeteiligungen zu.

Die ausländischen Konzerne dehnen ihre Produktionskapazitäten so weit wie möglich weiter aus. VW sichert sich eine Spitzenposition. Von den 62,4 Milliarden Euro Investitionen für die nächsten fünf Jahre fließen 22 Milliarden nach China. Mit dem Aufbau von zwei weiteren Werken haben die Wolfsburger dann neun Produktionsstätten in China, die jährlich drei Millionen Fahrzeuge produzieren. Ähnliche Nachrichten kommen von auch von den Konkurrenten, wenn auch nicht in diesen Größenordnungen.

Die Erfolgsmeldungen der Konzerne verschweigen gern das Wachstum einer eigenen chinesischen Autoindustrie auf staatlicher und privater Basis. Über 100 solcher Firmen (der Begriff Tochtergesellschaft wird in China nicht benutzt) werden von fünf zentralen Staatskonzernen geführt. Als deren Stärkster gilt die Beijing Automotive Industry Holding Corporation (BAIC). 2009 wollten die Opel übernehmen, was der Mutterkonzern General Motors allerdings verweigerte. Der Staatskonzern FAW ist der größte Hersteller von Dieselmotoren, Pkw sowie Bussen und Lkw. Er produziert an insgesamt 19 verschiedenen Standorten in China, unterhält Fabriken in Rußland und der Ukraine.

Laut der Vereinigung China Association of Automobile Manufacturers wurden 2009 2,2 Millionen Autos von einheimischen Herstellern produziert. Inzwischen gibt allein die Gruppe Changqing Changan an, jährlich 1,5 Millionen Fahrzeuge zu fertigen.

China setzt wie kein anderer Staat auf Elektromobilität. Mehr als 150 Millionen Menschen fahren bereits solche Roller. 2015 will das Land weltweit die meisten E-Autos produzieren. Peking investiert bis 2020 umgerechnet elf Milliarden Euro in den Ausbau dieser speziellen Branche.

Und die einheimischen Firmen sind längst auf Expansionskurs. Wer in Europa oder in den USA einen Volvo fährt, dem ist nur in seltenen Fällen bewußt, daß die Pkw-Sparte der Schweden nicht mehr zu Ford gehört, sondern schon 2004 vom Pekinger Autokonzern Geely für 1,8 Milliarden US-Dollar gekauft wurde. Das Unternehmen besitzt auch die Lizenzrechte an London-Taxi. 2005 kaufte der Konzern Nanjing Automobile den damals insolventen britischen Autohersteller Rover. Im Herbst 2011 versuchten die Unternehmen Jinhua Youngman und Pang Da die insolvente schwedische Oberklassenmarke Saab zu erwerben. Das scheiterte zwar vorerst, aber die Chinesen haben wohl noch nicht aufgegeben. Hinzu kommen viele Beteiligungen bzw. Übernahmen von kleineren Hersteller ebenso wie Zulieferern. Das Ganze ist schwer zu recherchieren, da die betreffenden Betriebe das oft nicht ausweisen.

Wie in anderen Wirtschaftszweigen werden chinesische Hersteller längerfristig auch ernstzunehmende Konkurrenten der globalen Automobilkonzerne sein. Und das nicht nur auf dem Binnenmarkt zwischen Peking und Kanton, sondern auch im Ausland.

* Aus: junge Welt, 9. März 2012


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