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Die chinesische Blase

Von Robert Kurz *

Es war bekanntlich die Immobilienblase in den angelsächsischen Ländern und in Teilen des Euroraums, die durch ihr Platzen die größte Finanz- und Wirtschaftskrise seit mehr als einem halben Jahrhundert auslöste. Die gekrachten Häusermärkte hängen jetzt am Tropf des Staates. Dessen Garantien und Beihilfen haben den drohenden Fall der Immobilienpreise ins Bodenlose aufgefangen. Damit sollen Vermögensverluste und Bankenbankrotte vermieden werden. Aber solange die Marktbereinigung künstlich verzögert wird, hängt der ganze Sektor wie ein Klotz am Bein der Weltwirtschaft. Ohnehin ist nicht ersichtlich, woher ein neuer Treibsatz für künftige Defizitkonjunkturen kommen soll. Da die Immobilienpreise ihren Boden noch nicht erreichten, nützt auch die faktische Nullzinspolitik der Notenbanken nichts. So schnell wird sich beiderseits des Atlantik aus einem kreditfinanzierten Immobilienboom kein Konsumwunder mehr zaubern lassen.

Die Hoffnungen richten sich inzwischen auf China. Dort haben riesige staatliche Konjunkturprogramme auf Pump den Exporteinbruch vorübergehend kompensiert. Dazu trägt auch die Niedrigzinspolitik der Notenbank bei, die von den Geschäftsbanken (im Unterschied zu Europa und den USA) auf staatlichen Befehl an Unternehmen und Private weitergegeben werden musste. Damit werden nicht nur gefährliche Überkapazitäten der Industrieproduktion und bei den Infrastrukturen als zukünftige Investitionsruinen finanziert. Ein zunehmender Teil des billigen Geldes fließt an die Börsen in Shenzhen und Shanghai, vor allem aber in die Immobilienspekulation. Nach offiziellen Angaben stiegen die Häuserpreise binnen Jahresfrist um 10,7 Prozent. Der Shanghaier Ökonom Wang Jianmao behauptet sogar, die »harmonischen Statistiken« seien getürkt. Nach seinen eigenen Berechnungen lag die Steigerungsrate in Wirklichkeit schon bei 23,5 Prozent. In China bläht sich offensichtlich die nächste große Immobilienblase auf. Hier könnte sich das vermeintlich von der Weltwirtschaftskrise völlig unbeeinflusste Rekordwachstum als Scheinblüte entpuppen. Denn in der Binnenökonomie Chinas wiederholt sich jetzt derselbe Mechanismus einer Finanzblasenkonjunktur, wie er zuvor die Weltwirtschaft und den chinesischen Export getrieben hatte bis zum unvermeidlichen Absturz.

Es gibt allerdings wesentliche Unterschiede. Die an der Immobilienspekulation beteiligte Mittelschicht ist bei weitem nicht so breit wie etwa in den USA. Es fehlen jene Bevölkerungsgruppen, die faktisch ohne Eigenkapital erworbene Häuser bei ständig steigenden Immobilienpreisen mit Hypothekenkrediten beleihen, die dann in Konsum umgesetzt werden. Aus der chinesischen Blase wird also kein Konsumwunder entstehen. Schon gar nicht von einer solchen Größenordnung, dass die eigenen Exportüberschüsse nun im Land verknuspert und zusätzlich auch noch die Warenüberschüsse der Welt aufgesaugt werden könnten. Mit Hilfe einer spekulativen Steigerung der Häuserpreise entsteht so zwar ein Boom der Bauindustrie, der einen wachsenden Teil der Konjunktur trägt. Aber dabei werden nur unbewohnte Geistersiedlungen hochgezogen. Der zweite Schub für die Konjunktur durch Massenkonsum aus den Hypothekenkrediten kleiner Häuslebauer bleibt aus. Deshalb ist zu erwarten, dass die chinesische Blase viel schneller platzt als die amerikanische. Bleibt die übliche Masse fauler Kredite zurück, können immense Überkapazitäten der Produktion nicht mehr finanziert werden. Dann müsste auch das chinesische Wunder den Geist aufgeben.

In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

* Aus: Neues Deutschland, 1. April 2010 (Kolumne)


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