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Neues aus dem Reich der Mitte

Beweglich im Inneren, entschieden im Äußeren: Chinas Führung duldet keine Einmischung, am wenigsten vom Konkurrenten USA

Am 19./20. November 2005 besuchte US-Präsident George W. Bush die Volksrepublik China. Er las der dortigen Staatsführung wegen des Mangels an "Freiheit und Demokratie" kräftig die Leviten, ging aber dann doch zur Tagesordnung über, und die hieß: Wirtschaftskontakte und freier Welthandel.
Im Folgenden dokumentieren wir ein paar aktuelle Reaktionen auf den China-Besuch.

Hu geht mit Hu in die Offensive

Chinesische Parteiführung lässt abgesetzten Generalsekretär ehren

Von Anna Guhl, Peking*

Während Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao im fernen Südkorea am APEC-Gipfel teilnahm, setzte er daheim ein »neues Zeichen«.

Am Abend des 18. November berichtete die offizielle chinesische Agentur Xinhua über eine Gedenkfeier zum 90. Geburtag des ehemaligen KP-Generalsekretärs Hu Yaobang, nach dessen Tod es am 4. Juni 1989 zu den blutigen Ereignissen auf dem Tiananmen-Platz kam. Noch bis zum Mittag dieses Freitages hatte keine chinesischsprachige Zeitung über die Vorbereitung jener Veranstaltung berichtet. Zwar war Hu Jintao nicht anwesend, doch die Führung war mit Premier Wen Jiabao und Hus Vize, den für Parteiarbeit zuständigen Zeng Qinghong, prominent vertreten.

Sicher, es waren nicht, wie ursprünglich geplant, 2000 Personen eingeladen, sondern nur 300, und das Ganze fand nicht am Geburtstag, sondern zwei Tage zuvor statt – wohl wegen des Bush- Besuchs am Wochenende. Doch immerhin: Hu Jintao geht in die Offensive. Will er ein Zeichen setzen für mehr Offenheit im Umgang mit der eigenen Geschichte, für mehr Toleranz gegenüber anderen Ansichten in der Partei?

Gut 16 Jahre war der Name des Ex-Parteichefs kaum erwähnt worden. Zu groß waren die Befürchtungen, es könnten Diskussionen über den 4. Juni in der Öffentlichkeit aufflammen. Dass dieses Thema auch für die jetzige Parteiführung unter Hu Jintao weiterhin ein Tabu ist, hatte sie erst zu Beginn des Jahres gezeigt, als Zhao Ziyang starb, Parteichef im Jahr 1989, der im Anschluss an die Ereignisse abgesetzt wurde und dem man im Wesentlichen die Schuld für das Zustandekommen des 4. Juni in die Schuhe schiebt.

Hu Yaobang hatte auch nach seiner Absetzung als Generalsekretär in Folge der Studentenunruhen von 1986/87 seinen Sitz in dem obersten Führungszirkel der Partei, dem Politbüro, behalten. Unter Intellektuellen und Studenten genießt er noch heute hohes Ansehen. Vor allem seinem Einsatz verdanken Millionen von Intellektuellen eine zügige Rehabilitierung nach den Kampagnen der 50er und 60er Jahre, die sich im hohen Maße gegen die Intelligenz richteten. Die unerschrockene Haltung, die er zeigte, als er Anfang der 80er Jahre mit wissenschaftsfeindlichen und dogmatischen Ansichten in der Partei aufräumte, der Intelligenz neue Freiräume und einen offenen, kritischen Gedankenaustausch ermöglichte, machte ihn vor allem in ihren Kreisen beliebt.

Wie es aussieht, versucht die »Aktion« Hu Jintaos vor allem an dieses fortdauernde hohe Ansehen anzuknüpfen, das sein Vorgänger auch unter den Studenten genoss.

Peking hatte in den letzten Monaten die politische Zensur wieder stark angezogen. Jüngstes Beispiel sind Verordnungen zur massiven Einschränkung der Nachrichentenberichterstattung im Internet. Gerade das hatte die aufgeklärte Intelligenz erneut aufgeschreckt. Sicher, im Gespräch ist heute schon viel möglich. Wissenschaftler und Studenten sprechen auch im Beisein von Ausländern offen über Dinge, bei denen sie Handlungsbedarf in der Entwicklung von Demokratie und Transparenz in den politischen Abläufen sehen. Aber in den offiziellen Medien fehlt diese Offenheit zunehmend.

Die chinesische Führung braucht jedoch den innovativen Beitrag ihrer Experten, nicht allein im naturwissenschaftlichen und technischen Bereich, sondern auch immer mehr bei der Erarbeitung neuer Sozialmodelle und Konzeptionen. Was sie in puncto Gesellschaftsentwicklung vorhat, ist nicht nur für sie Neuland, sondern letztlich für die gesamte Menschheit. Da gibt es keine Vorbilder. Und hier ist deshalb auch die Intelligenz stark gefragt.

So würdigte Zeng in seiner Rede denn auch die bedeutende Rolle, die Hu Yaobang dieser sozialen Schicht bei Chinas Modernisierung beimaß. Allerdings hat die von Hu Jintao betriebene Offensive deutliche Grenzen: Weder eine Diskussion um die Neubewertung des 4. Juni 1989 noch politische Reformen, wie man sie im Westen versteht, sind zu erwarten.

* Aus: Neues Deutschland, 22. November 2005


Schelte für den Gastgeber

US-Präsident Bush nutzt selbst China-Visite zu verbalen Angriffen gegen Peking

Von Jens Walther**

Während ihm zu Hause wegen seines Kriegskurses der Wind ins Gesicht bläst, übte sich US-Präsident George W. Bush am Wochenende abermals im Anheizen von Spannungen. Wie bereits auf den bisherigen Stationen seiner Asien-Reise griff Bush nun direkt in Peking seine Gastgeber an: China verletze die Menschenrechte, tönte der Mann aus Washington. Peking müsse seinen Bürgern religiöse, politische und soziale Freiheiten gewähren, sagte Bush am Sonntag [20.11.2005] auf einer Pressekonferenz mit dem chinesischen Präsidenten Hu Jintao. Dieser hatte ihn in der Großen Halle des Volkes empfangen.

Der amerikanische Präsident nutzte die Pressekonferenz zur massiven Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas. Die Behörden müßten unabhängige Wohlfahrtsorganisationen fairer behandeln. Bush rief Hu überdies auf, den Dalai Lama und Vertreter der katholischen Kirche einzuladen, um über die Religionsfreiheit zu diskutieren. Der erste offizielle Termin Bushs war am Sonntag die Teilnahme an einem protestantischen Gottesdienst – offensichtlich als gezielte Provokation der chinesischen Führung gedacht. Erwartungsgemäß gab es danach einen »Augenzeugenbericht« über die Festnahme von Christen, die mit Bush in der Kirche sprechen wollten. US-Außenministerin Condoleezza Rice assistierte ihrem Chef: »Wir haben sicherlich nicht die Fortschritte gesehen, die wir erwartet haben«, sagte Rice unter Bezugnahme auf »konkrete Fälle von Menschenrechtsverletzungen«.

Weit moderater gab sich die Delegation aus Washington dagegen bei den Wirtschaftsfragen. So sollen die Konflikte im bilateralen Handel »kurzfristig« ausgeräumt werden. Hu erklärte, seine Regierung sei bemüht, den Handel mit den USA schrittweise in ein Gleichgewicht zu bringen. Peking bestellte 70 Flugzeuge des Typs Boeing 737 mit einem Auftragswert von etwa vier Milliarden Dollar. Trotz dieses »positiven Signals« verlangte Bush, daß mehr getan werden müsse, um amerikanischen Unternehmern und Bauern einen fairen Zugang zum chinesischen Markt zu öffnen. Zudem erneuerte er die Forderung nach einer Abwertung der chinesischen Währung, die nach Einschätzung der USA um 40 Prozent zu hoch bewertet ist.

Bush hatte zuvor am APEC-Gipfel im südkoreanischen Pusan teilgenommen. Mit kaum verhüllter Kritik an den europäischen Agrarsubventionen hatte die Asiatisch-Pazifische Wirtschaftsgemeinschaft am Sonnabend einen Durchbruch bei den stockenden Welthandelsgesprächen verlangt. »Wir fordern alle Mitglieder der Welthandelsorganisation, und besonders die, die den größten Anteil am Welthandelssystem haben und daraus den größten Nutzen ziehen, auf, die notwendige Flexibilität zu zeigen, um die Verhandlungen voranzubringen«, hieß es in dem Dokument.

** Aus: junge Welt, 21. November 2005
Und in der Frankfurter Rundschau machte der Kommentator Harald Maass "tiefe Risse" aus:

(...) Bushs Taiwan-Vergleich und die harsche Reaktion aus Peking zeigen, dass sich der Ton zwischen Peking und Washington verschärft hat. Nach 2001 hatte der Kampf gegen den Terror die Großmächte näher gebracht. Jetzt driften sie wieder auseinander. In Washington sieht man die Volksrepublik als künftigen Konkurrenten und möglichen Gegner. Ebenso tief sitzt in China das Misstrauen gegenüber den USA.
Ein Erfolg wäre dieses Gipfeltreffen gewesen, wenn Bush und Hu in Peking zumindest eine Gesprächsbasis gefunden hätten. Doch in den Abschlusserklärungen redeten sie konsequent aneinander vorbei. Bush dozierte über Freiheiten. Hu warnte vor der Unabhängigkeit Taiwans. Bushs Besuch machte deutlich, wie tief die Risse in den Beziehungen der beiden Großmächte bereits sind.
Aus: Frankfurter Rundschau, 21. November 2005 (Kommentar)


Bush dankt den »furchtlosen Irak-Kriegern«

Der USA-Präsident hat von seiner Asienreise wenig Zählbares mit nach Washington gebracht

Von Max Böhnel, New York


Abgesehen von einem Milliardenauftrag für Boeing kehrte USA-Präsident George W. Bush von seiner einwöchigen Asienreise mit leeren Händen zurück. Nur in der Mongolei wurde er gefeiert. Ein von der Bush-Regierung mit China eingefädelter »Big Deal« für den US-amerikanischen Flugzeug- und Rüstungsriesen Boeing war das wichtigste Ergebnis der einwöchigen Asienreise des USA-Präsidenten und seiner Entourage. Die Volksrepublik bestellte 70 Passagierflugzeuge des Typs Boeing 737 im Wert von vier Milliarden US-Dollar. Die Maschinen sollen bis 2008 geliefert werden.

Ansonsten hat George W. Bush nichts Zählbares vorzuweisen. Japan bleibt bis auf Weiteres bei seinem Einfuhrstopp für Rindfleisch aus den USA. Beim Gipfel der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftskooperation APEC in Südkorea wollte sich niemand mit den Freihandels-Forderungen der Vereinigten Staaten anfreunden.

Auch Peking ließ sich von Washington auf nichts festlegen: China wird weder seinen Markt für USA-Firmen profitabler machen noch seine Währung aufwerten, um so seinen Handelsüberschuss beizubehalten. Vage blieb Peking angesichts der Forderung, Raubkopien von Produkten der USA-Unterhaltungs- und Internetindustrie Einhalt zu gebieten. Gleichzeitig blieben die Forderungen der USA nach politischer Reform und größeren religiösen Freiheiten im Raum stehen. Bush hatte zum Beginn seines zweitägigen China-Aufenthalts demonstrativ einen evangelischen Gottesdienst besucht, worauf Staatschef Hu Jintao verhalten reagierte. Sein Land baue die Menschenrechte »kontinuierlich aus«, sagte er.

Bush habe China »mit Glacéhandschuhen angefasst«, hieß es im Internet-Börsenmagazin »Market Watch«. Doch ein konfrontationsfreier Bush-Besuch sei schon im Vorfeld als »Erfolgsmission« ausgegeben worden. Auch laut »Washington Post« verlief die Reise »ohne großen Knall«. Ein so oder so politisch angeschlagener Bush kehre »ohne große Ergebnisse zurück, mit denen sich das Weiße Haus brüsten könnte«.

Tatsächlich waren dem Präsidenten von mitgereisten US-amerikanischen Journalisten mehr Fragen über die Irak-Kriegs-Debatte als über die Washingtoner Asienpolitik gestellt worden. Die bewegt sich zwischen zwei innenpolitischen Polen innerhalb seiner Republikaner-Partei: Auf der einen Seite stehen die Großkonzerne, die sich über Freihandelsabkommen mehr Zugang zum chinesischen Markt und damit höhere Profite erhoffen. Auf der anderen Seite fordert die religiöse Rechte von Bush, den Druck auf China zu erhöhen, um dort für ihre fundamentalistischen Bewegungen einen Fuß in die Tür setzen zu können.

Die Opposition der Demokraten – in beiden Kammern des Parlaments in der Minderheit – bezeichnet die Regierungspolitik als ziellos, hebt die »atomare Bedrohung« durch Nordkorea hervor und kritisiert das USA-Außenhandelsdefizit mit China. Die liberale »Los Angeles Times« wies darauf hin, dass Washington China zunächst als Rivalen und später als strategischen Partner bezeichnete – was inzwischen dem nichts sagenden Begriff »komplex« gewichen sei.

Zum Abschluss seiner Asienreise konnte Bush in der Mongolei dann noch etwa für sein angekratztes Ego tun. In den Gesprächen mit Präsident Nambariin Enkhbayar dankte er für die Unterstützung der USA-Truppen in Irak und Afghanistan und lobte den Übergang des Landes in die Demokratie. »Sie haben eine lebendige Demokratie auf die Beine gestellt und ihre Wirtschaft geöffnet.« Zum Einsatz der mehr als 100 mongolischen Soldaten in Irak bemerkte Bush in einer Rede im Parlament von Ulan Bator: »Die mongolischen Streitkräfte dienen der Sache der Freiheit, und die amerikanischen Truppen sind stolz, an der Seite solch furchtloser Krieger zu dienen.« Nach dem nur vierstündige Besuch in dem 2,4 Millionen Einwohner zählenden Land, das sich um gute Beziehungen zu den USA bemüht, reiste der Präsident nach Washington zurück.

Aus: Neues Deutschland, 22. November 2005


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