Strom für die Weltfabrik
Die USA überholt: Extremes Wirtschaftswachstum bedingt steigenden Energieverbrauch in China. Das verschärft den Kampf um die Ressourcen
Von Rainer Rupp *
China hat die USA überholt. Beim Energieverbrauch. Das jedenfalls
behauptete die in Paris ansässige Internationalen Energieagentur (IEA)
in ihrem aktuellsten Bericht. Die zu Wochenbeginn vorgelegten IEA-Zahlen
wurden zwar umgehend von Pekinger Offiziellen dementiert, doch die
Nachricht war in der Welt, und zahlreiche Experten halten sie für
plausibel. Obwohl die Vereinigten Staaten von Amerika im
Energieverbrauch pro Kopf weiterhin mit Abstand vorne liegen,
widerspiegeln die IEA-Zahlen das über Jahrzehnte dauernde, rasante
wirtschaftliche Wachstum Chinas. Das Reich der Mitte ist zum mächtigsten
Industriegiganten der Welt aufgestiegen.
Dieser Prozeß habe »ein neues Zeitalter in der Geschichte der Energie«
eingeläutet, sagte IEA-Chefvolkswirt Fatih Birol. Doch dahinter
verbergen sich auch ernsthafte Probleme. So generiert die Volksrepublik
den größten Teil ihrer Energie immer noch aus Kohle, dem
umweltschädlichsten der fossilen Brennstoffe. Chinas weiter steigender
Bedarf habe die globalen Energiemärkte verwandelt, so Birol. Diese
Nachfrage habe in den zurückliegenden Jahren selbst in schlechten Zeiten
die Preise von Öl und Kohle gestützt. Besorgt merkte der IEA-Experte an,
daß Chinas weiteres, ungehemmtes Wachstum langfristig auch Auswirkungen
auf die Energiesicherheit der USA haben könnte.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts seien die Vereinigten Staaten
ununterbrochen der mit Abstand größte Energieverbraucher der Welt
gewesen. Im zurückliegenden Jahr habe China dann jedoch insgesamt 2,25
Milliarden Tonnen Öläquivalente verfeuert, die USA kamen auf »nur« noch
2,17 Milliarden Tonnen. (Die Maßeinheit Öläquivalent wird benutzt, wenn
X Kubikmeter Gas, Y Tonnen Kohle oder Z Kilowatt Atomstrom jeweils dem
Kaloriengehalt einer Tonne Öl entsprechen.) Noch vor zehn Jahren kam
China auf gerade einmal die Hälfte des US-amerikanischen Verbrauchs. Mit
seinen durchschnittlichen jährlichen Wachtumsraten des
Bruttoinlandsprodukts (BIP) von zehn Prozent und mehr holte das
Riesenland allerdings schnell auf. Ursprünglich wurde erwartet, daß
China die USA im Jahr 2015 überholen würde. Doch dann kam die globale
Wirtschaftkrise – die US-Ökonomie stürzte ab, während es in China nach
einer kleinen Wachstumsdelle weiter steil aufwärts ging.
Der wachsende Bedarf der (statistisch gesehen) zweitgrößten
Wirtschaftsmacht der Erde hat inzwischen auch Washingtons Außenpolitiker
auf den Plan gerufen. Vor allem deshalb, weil diese die weltweiten
Ölreserven nur zu gern für die USA reklamieren. Chinas Energieprojekte
rund um die Welt kreuzen zunehmend US-amerikanischen Interessen. So baut
z.B. die China National Petroleum Corporation (CNPC), die größte
Ölgesellschaft des Landes, ungerührt von den US-Sanktionsbemühungen
gegen Teheran ein gigantischen Kooperationsprojekt zur Öl- und
Gasgewinnung mit dem Iran weiter aus. Zumeist staatliche chinesische
Gesellschaften sind rund um den Globus auf der Suche nach sicheren
Energieressourcen und anderen Rohstoffen. Von Asien, über Australien und
Afrika bis hin nach Lateinamerika verhandeln Pekings Emissäre über
Zugangs- und Nutzungsrechte, wobei Washington wegen der guten
wirtschaftlichen Beziehungen Chinas zu Venezuela und Kuba besonders
verärgert ist.
Aber auch im Sudan, wo große Ölreserven vermutet werden, haben
chinesische Unternehmen ihre Flagge gehißt. Westliche Firmen hingegen
mußten sich unter dem Druck ihrer Regierungen weitgehend aus der Region
zurückziehen. Da sie nach dem Prinzip des gegenseitigen Vorteils
arbeiten, sind die Chinesen überall willkommen. Anders als die
westlichen Konzerne sichern sie ihre Schürf- und Produktionsrechte nicht
durch Bestechung der lokalen Oberschicht, sondern erstellen in den
jeweiligen Partnerländern umfangreiche Infrastrukturprojekte wie
Krankenhäuser, Straßen, Eisenbahnlinien, Häfen usw. Dank eines
gigantischen Devisenpolsters sind die staatlichen Unternehmen privaten
westlichen Konzerne im Wettlauf um den Zugang zu den lokalen
Rohstoffreserven und Märkten in der Dritten Welt überlegen.
Der schier unstillbare Energiehunger der Volksrepublik hat auch all jene
Umweltschützer mobilisiert, die von einem vom Menschen gemachten
Klimawandel ausgehen. Im Hinblick auf den geplanten Börsenhandel mit
Verschmutzungsrechten haben zudem die US-Finanzkonzerne ein neues
Riesengeschäft ausgemacht. Beim Klimagipfel von Kopenhagen im Dezember
weigerte sich Peking, sowohl einer Obergrenze für seinen Verbrauch von
fossilen Brennstoffen zuzustimmen, als auch die Emission von
Treibhausgasen zu reduzieren.
Die Veränderung auf den globalen Energiemärkten hat auch geopolitische
Folgen. So hatten sich wichtige Ölexporteure in der Vergangenheit immer
an dem größten Ölverbraucher USA orientiert. Jetzt wenden sie sich
stärker dem asiatischen Markt, insbesondere China, zu. Dort haben
Staaten wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate
begonnen, Raffinerien und Öltanks zu bauen. Zugleich liefert der
weltgrößte Ölproduzent Saudi-Arabien inzwischen mehr Öl nach China als
in die USA.
Mittel- bis langfristig wird sich das Wachstum von Chinas
Energieverbrauch verlangsamen. Bedeutende Infrastrukturprojekte sind
bereits fertiggestellt und das Tempo der industriellen Expansion wird
sich verlangsamen. Zugleich dürfte die von der Regierung betriebene
Politik für mehr Energieeffizienz verstärkt greifen. Nachhaltigkeit und
der Einsatz erneuerbarer Energien stehen auch in China ganz oben auf der
politischen Tagesordnung. Maßgeblich aber wird der zukünftige
Energieverbrauch des Landes davon abhängen, ob China dem japanischen und
europäischen Weg des sparsamen Verbrauchs folgen oder ob die Chinesen
mit zunehmendem Reichtum den US-Weg, also den der gigantischen
Verschwendung, gehen werden.
* Aus: junge Welt, 23. Juli 2010
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