Chinas Interesse an Elektroautos
Industriespionagefall bei Renault gilt nur als Spitze des Eisbergs
Von Ralf Klingsieck, Paris *
Der Industriespionagefall beim Autokonzern Renault zieht Kreise. Offenbar haben die beschuldigten Manager für chinesische Unternehmen gearbeitet und dafür hohe Summen erhalten.
Vor einer Woche war bekannt geworden, dass drei leitende Manager von Renault »freigestellt« wurden und vorübergehend Hausverbot bekommen haben. Ihnen wird vorgeworfen, geheime Informationen über Elektroautoprojekte des Unternehmens weitergegeben zu haben. Es handelt sich um ein seit 30 Jahren bei Renault tätiges Direktionsmitglied, seinen Stellvertreter und den stellvertretenden Leiter des Elektroautoprojekts.
Im Forschungs- und Entwicklungszentrum in Guyancourt bei Paris arbeiten mehr als 1000 Ingenieure und Techniker an neuen Entwürfen, die Renault zum Weltmarktführer bei Elektroautos machen sollen. In das Programm werden insgesamt vier Milliarden Euro investiert. In wenigen Wochen sollen die ersten zwei komplett elektrisch getriebenen Modelle – eine Limousine und ein Kleinlieferwagen – auf den Markt kommen. Das Interesse der Konkurrenz ist groß, entsprechend mahnt die Direktion die Mitarbeiter, »alle wichtigen strategischen, geistigen und technologischen Informationen vertraulich zu behandeln«.
Recherchen von Journalisten zufolge sind die drei Renault-Manager durch einen Teilezulieferer kontaktiert worden, der auch für chinesische Konkurrenten arbeitet. Die Beschuldigten hätten über eine Briefkastenfirma Zahlungen »in erheblicher Höhe« auf ausländische Bankkonten erhalten. Offenbar gaben die Manager allgemeine Informationen über das Konzept der Fahrzeuge, die Entwicklungs- und Baukosten und Ähnliches weiter. Technisch relevante Informationen über Innovationen bei Batterien und Motoren oder über Patente seien jedoch nicht abgeflossen, wie Renault-Vizechef Patrick Pélata am Wochenende erklärte. »Wir konnten die Sache noch rechtzeitig stoppen.«
Genaue Aufklärung sollen drei parallel eingeleitete Untersuchungen leisten – eine unternehmensinterne, eine kriminalpolizeiliche und eine durch die staatliche Spionageabwehr. Letztere wurde von der Regierung beauftragt, die den Fall sehr ernst nimmt. Industrieminister Eric Besson sprach von »Wirtschaftskrieg« und warnte vor massiven Schäden, die Frankreich durch ausländische Industriespionage entstünden. Er will künftig staatliche Finanzhilfe für Unternehmen nicht zuletzt davon abhängig machen, wie konsequent sie Firmeninterna geheim halten.
Der Abgeordnete Bernard Carayon von der Regierungspartei UMP, der seit Langem ein schärferes Gesetz fordert, kündigte jetzt an, noch in diesem Monat einen Entwurf einzubringen, für den er schon mehr als 100 Parlamentarier gewonnen hat. Seiner Meinung nach wird Industriespionage in Frankreich noch wie ein »Kavaliersdelikt« behandelt. »Sollten die Renault-Manager überführt werden, kann man sie höchstens fristlos entlassen und einen zivilrechtlichen Schadenersatzprozess gegen sie anstrengen«, meinte er. Gefängnisstrafen riskierten sie nicht. Eine solch laxe Rechtslage locke Industriespione förmlich an.
Wie viele solcher Fälle es gibt und wie hoch der Schaden ist, kann niemand sagen. Öffentlich wurden in den letzten Jahren nur wenige spektakuläre Fälle. So bot ein Ex-Manager von Michelin dem Konkurrenten Bridgestone technische Unterlagen über einen neu entwickelten Reifentyp an. Der biss nicht an, sondern informierte die Michelin-Direktion. Der Täter kam mit einer Bewährungsstrafe wegen »Vertrauensbruchs« davon. Beim Autoteilehersteller Valeo wurde 2005 eine chinesische Ingenieur-Studentin überführt, die bei einem Praktikum alle zugänglichen Dossiers und Konstruktionsunterlagen aus dem firmeninternen Datennetz auf ihren Computer heruntergeladen hatte. Sie wurde 2007 zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt und nach China abgeschoben.
Dorthin weist auch bei Renault die Spur. »Die großen chinesischen Unternehmen versuchen, ihren technologischen Rückstand mit allen Mitteln aufzuholen«, erklärt China-Experte Jean Randolfi vom Institut für strategische Studien in Paris. »Da sie meist ganz oder mehrheitlich im Besitz des Staates sind, stehen ihnen all dessen Möglichkeiten offen.« Wenn chinesische Gruppen in französische Unternehmen investierten, dann gehe es vor allem um den Erwerb neuer Technologien. Was man auf legalem Wege nicht bekomme, versuche man illegal zu beschaffen, so Randolfi. Den Chinesen fehle dabei jedes Unrechtsgefühl. In ihrer Sprache ist das Wort »Nachbauen« identisch mit »Lernen.«
* Aus: Neues Deutschland, 10. Januar 2011
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