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Ist Gu Kailai ein Bauernopfer?

China: Bedingte Todesstrafe für die Frau des ehemaligen Spitzenpolitikers Bo Xilai

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Ein chinesisches Gericht hat Gu Kailai, die Frau des gestürzten Spitzenpolitikers Bo Xilai, wegen Mordes an einem britischen Geschäftspartner zu einer Todesstrafe auf Bewährung verurteilt. Nach einer zweijährigen Bewährungsfrist im Gefängnis kann die Strafe in befristete oder unbefristete Haft umgewandelt werden.

Das Urteil folgte dem Geständnis der einst mächtigen Politikerfrau, wonach sie den britischen Geschäftsmann Neil Heywood im vergangenen November in einem Luxushotel der zentralchinesischen Stadt Chongqing vergiftet habe. Der Brite habe sie bedroht und ihren Sohn in London als Geisel genommen, nachdem ein gemeinsames Immobiliengeschäft gescheitert war und Gu sich geweigert hatte, Heywood 22 Millionen Dollar zurückzuzahlen. Sie habe, sagte Gu in der siebenstündigen Verhandlung am 9. August, die Nerven verloren. Das Gift beschaffte ihr ein Angestellter namens Zhang Xiaojun, der wegen Beihilfe zum Mord zu neun Jahren Haft verurteilt wurde.

Nach ihrer Darstellung lockte Gu den Briten in das Hotel, offerierte ihm Whisky und Tee. Nachdem er sich übergeben hatte, flößte sie ihm das in Wasser aufgelöste Gift ein und verstreute Pillen um die Leiche, als habe Heywood eine Überdosis genommen. Die Polizei sprach von Selbstmord und beeilte sich, den Leichnam einzuäschern. Vier Polizisten wurden denn auch wegen versuchter Strafvereitelung zu Haftstrafen zwischen fünf und elf Jahren verurteilt.

Die offene Frage bleibt, ob Ehemann Bo Xilai, ehemals Mitglied des Politbüros des ZK der KP Chinas und Parteichef von Chongqing, selbst in den Mordfall verwickelt war. Seit März nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen, galt Bo bis dahin als Anwärter auf einen Spitzenplatz beim bevorstehenden Stabwechsel in der Führung der Partei und des Staates. Der charismatische Bo hatte jedoch so viele Feinde wie Anhänger, weshalb auch nach der Verurteilung seiner Frau die Spekulationen nicht verstummen werden, wonach es sich bei diesem Prozess – in dem Bos Name nicht genannt wurde – um ein politisches Verfahren handelte, das Teil eines umfangreicheren Machtkampfes war. Die wahre Geschichte, so heißt es, sei die von Bo Xilai und der grassierenden Korruption auf höchster Ebene. Doch die bleibt im Dunkeln. Solange nicht klar ist, was mit dem einstigen Protegé der Partei geschehen wird, dürfte es auch um den Skandal nicht ruhig werden. Noch ist nicht einmal bekannt, ob gegen Bo Strafanzeige erstattet wurde.

Der Mord an Heywood war ans Licht gekommen, nachdem der frühere Polizeichef von Chongqing, ein ehemaliger Vertrauter der Eheleute Bo, kurzeitig in das Konsulat der USA in Chengdu geflohen war und dort ausgepackt hatte. Dieser Mann, Wang Lijun mit Namen, soll noch in diesem Monat wegen Landesverrats vor Gericht gestellt werden.

Es war ein Blitzverfahren, in dem die 53-jährige Gu Kailai abgeurteilt wurde. Ermittler hatten zwar fast 400 Zeugen vernommen und 200 Dokumente analysiert, doch Gus Anwälte erhielten Akteneinsicht erst zu Prozessbeginn. Die Frau selbst wurde als medikamentenabhängige manisch Depressive dargestellt, obwohl die Tochter eines Revolutionärs, Anwältin und Befürworterin des chinesischen Rechtssystems eben noch zu den Vorzeigegestalten zählte. Aus den beschriebenen medizinischen Gründen könnte die Verurteilte nach Angaben der USamerikanischen Dui-Hua-Stiftung bereits nach neun Jahren Haft freigelassen werden.

Ist Gu Kailai also nur ein Bauernopfer, das irgendwie alle zufriedenstellen soll? In den Augen des Volkes siegte das Recht, auch die britische Regierung äußerte Genugtuung und selbst Anhänger von Bo atmen auf, nimmt seine Frau doch alle Schuld auf sich. »Ich halte das Urteil für gerecht«, sagte sie bei dessen Verkündung in der ostchinesischen Stadt Hefei. Auf einen Einspruch verzichtete sie.

Bo Xilai hatte sich als Reformer und Kämpfer gegen organisiertes Verbrechen einen Namen gemacht. Dass er dereinst geläutert, ohne die verurteilte Frau an seiner Seite, ein politisches Comeback begeht, ist in China so wenig auszuschließen wie die Möglichkeit, dass seine Feinde mit dem politischen Prozess ihr Ziel erreicht haben.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 21. August 2012


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