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Der Untergang Hongkongs ist ausgeblieben

Vor zehn Jahren gab das britische Empire seine Kronkolonie an China zurück

Von Anna Guhl, Peking *

Als vor zehn Jahren am Abend des 30. Juni in Hongkong der »Union Jack« eingeholt und pünktlich um Mitternacht die chinesische Staatsflagge aufgezogen wurde, waren die Emotionen auf beiden Seiten groß.

Auf ewig hatte sich die britische Verwaltung am südöstlichen Zipfel des chinesischen Festlands einrichten wollen, nun musste das einst mächtige England dem wieder erstarkten China weichen. Der auf 100 Jahre angelegte Pachtvertrag für die um die Insel Hongkong und Kowloon gelagerten »New Territories« lief 1997 aus. Und Chinas Führung hatte seit Beginn der Rückgabeverhandlungen Anfang der 80er Jahren keine Zweifel aufkommen lassen, dass sie künftig allein über die Geschicke Hongkongs entscheiden wolle.

Das von Deng Xiaoping eigens zur Übernahme der einstigen Kolonien entwickelte politische Konzept »ein Land und zwei Systeme« sah lediglich vor, die Verwaltung und das öffentliche Leben im neuen Sondergebiet Hongkong weitestgehend unangetastet zu lassen.

Groß waren die Zweifel damals in der westlichen Welt, ob ein solches Konstrukt überhaupt funktionieren könne. Das USA-Magazin »Time« prophezeite Hongkong am Vorabend des 1. Juli 1997 den sicheren Untergang. Mehr als 300 000 Hongkonger verließen die Stadt vor ihrer Übergabe an China, viele beantragten die Einbürgerung in westlichen Staaten.

Zehn Jahre danach ist Hongkong weiterhin eine sehr lebendige und freie Metropole, die wie eh und je von Handel, Konsum und Tourismus lebt. Mit rund 150 Ländern dieser Welt besteht Visumsfreiheit. Hongkongs Wirtschaft boomt, zurzeit mit 6 Prozent jährlichem Wachstum. Bei 3 Prozent liegt die Arbeitslosigkeit – weit unter den in Asien üblichen Raten. Und Hongkong ist für viele internationale Unternehmen immer noch das Tor zum chinesischen Festland, auch weil Aufsichtsbehörden und Justiz hier weiter unabhängig arbeiten.

Freilich musste sich Hongkong in den letzten Jahren mit dem Festland arrangieren. Kaum, dass das sozialistische China das kapitalistische Hongkong übernommen hatte, drohte mit der Abwertung des thailändischen Baht und der asiatischen Finanzkrise Hongkongs Immobiliensektor einzubrechen, kurz darauf lähmten Vogelgrippe und SARS das Leben. Aber Peking hielt stets fest zu seinem neuen Verwaltungsgebiet. Die Börse erholte sich rasch, nur in London kauften sich im letzten Jahr mehr Unternehmen ein als in Hongkong.

Nach und nach verliert Hongkong seine Superlative allerdings an Chinas Metropolen. Der Containerhafen und der neue Flughafen in Shanghai haben an Volumen und Größe längst nachgezogen. Hongkongs Bevölkerung scheint den Verlust der Einmaligkeit indes gelassen hinzunehmen und gewinnt der unmittelbaren Nachbarschaft zum aufstrebenden China immer mehr Praktisches ab. Den »Grenzübergang« Luohu zwischen Shenzhen und Hongkong überqueren täglich mehr als 200 000 Menschen. Weit über 6000 Unternehmungen aus Hongkong sind bereits ins benachbarte Perlflussdelta abgewandert. Viele Hongkonger haben ihre vergleichsweise teuren Wohnungen aufgegeben, leben mit ihren Familien im preiswerten Shenzhen und kommen nur noch ins Büro nach Hongkong. Immer mehr Jugendliche besuchen Universitäten auf dem Festland und nehmen gut bezahlte Angebote in Chinas Boomstädten an. Umgekehrt nutzen viele Festlandchinesen die einfachen Reisebestimmungen für Kurztrips und geben in Hongkongs Einkaufsstraßen viel Geld aus.

Pekings Hochchinesisch drängt auf Hongkongs Straßen das Englisch der Kolonialzeit zurück. Hongkongs Wirtschaftsziele werden inzwischen im Pekinger Fünfjahrplan festgeschrieben. Die Zahl der Abwanderer aus Hongkong ist stark zurückgegangen und jüngsten Umfragen zufolge sieht die Mehrheit von Hongkongs Bürgern der Zukunft ihrer Stadt unter chinesischer Flagge recht zuversichtlich entgegen.

Mit gewissen Unzulänglichkeiten können beide Seiten offenbar ganz gut leben: Die von Peking vorgegebenen komplizierten Wahlschlüssel machten bisher die immer wieder angekündigte Direktwahl der Hongkonger Verwaltungsspitze faktisch unmöglich. Dafür duldet Peking stillschweigend Tiananmen- und Falungong-Proteste sowie die Veröffentlichung von Interna seines Parteibetriebs in Hongkonger Hochglanz-Magazinen.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Juli 2007


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