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Kein Waffengang am Himalaja

Indien und China ziehen Truppen aus umstrittener Grenzregion in Kaschmir ab

Von Hilmar König *

Entwarnung folgte dem Säbelrasseln. China und Indien ziehen offenkundig den Truppenabzug aus der Konfliktregion am Himalaja einem Waffengang vor. Friedlich soll es weitergehen. Am Donnerstag kommt Indiens Außenminister Salman Khurshid nach China. Dessen Premier Li Keqiang wird bald in Indien erwartet.

»Der Truppenabzug hat begonnen«, wurde gestern ein ranghoher indischer Militär zitiert. Aus dem chinesischen Außenministerium kam vorerst keine Bestätigung für Rückzüge, doch immerhin für gute Entwicklungen. Eine Krise im Streit um die gemeinsame Grenze in der Himalaja-Region Kaschmir hatte 1962 zwischen den Nachbarn schon einmal zu einem kurzen Krieg geführt.

Diesmal drohte eine ähnliche Entwicklung wegen eines Zwischenfalls am nordwestlichen Abschnitt der »Linie der Aktuellen Kontrolle« (LAC) zwischen Indien und China. Die Situation schien festgefahren. Selbst ein drittes sogenanntes Flaggenmeeting zwischen lokalen Militärkommandeuren beider Seiten brachte noch vergangene Woche keine Entspannung.

Zuvor war am 15. April laut indischer Darstellung ein Trupp chinesischer Soldaten in das Depsang-Tal östlich des Karakorum-Passes vorgedrungen und hatte dort ein Zeltlager aufgeschlagen, 19 Kilometer südlich der LAC. So wird die seit über 50 Jahren nicht demarkierte, nach wie vor umstrittene Grenze zu China offiziell bezeichnet. Militärstrategische Experten und oppositionelle Politiker verlangten von der Koalitionsregierung der Vereinten Progressiven Allianz unter Premier Manmohan Singh ein »entschlossenes Vorgehen gegen die Invasoren«. Die Scharfmacher wurden von Moderatoren in den elektronischen Medien Indiens lautstark angestachelt.

Feigheit signalisiere nur Schwäche und lade zu noch mehr Aggressivität ein, äußerte Brahma Chellany vom Zentrum für Politikforschung in Delhi. Sein Kollege Bharat Karnad orakelte, chinesische Hubschrauber abzuschießen und den Handel mit China einzustellen, wären durchaus Optionen.

Die hindunationalistische Indische Volkspartei (BJP) und Mulayam Singh Yadav von der Samajwadi Party wetterten, die Regierung agiere »höchst feige, inkompetent und ist zu nichts zu gebrauchen«. Arun Jaitley von der BJP drohte: »Unsere und die Geduld des Volkes geht zu Ende.« Yadav, dessen Partei eigentlich das Kabinett des Premiers unterstützt, bezeichnete China als größten Feind Indiens und forderte, die chinesischen Soldaten rauszuwerfen. Er verstieg sich zu der Bemerkung: »Wenn es zum Krieg kommen sollte, sei’s drum.«

Den Zwischenfall bewerteten die Kritiker als bisher schwerste Verletzung der LAC. Es kampierten angeblich rund 50 chinesische Soldaten in fünf Zelten im Depsang-Tal, das auf Militärkarten auch als Daulat Beg Oldi verzeichnet ist. Sie wurden von zwei Spürhunden begleitet, verfügten über Geländefahrzeuge und wurden von einem Schwerlaster mit Nachschub versorgt. Berichtet wurde von einem Banner, auf dem in Englisch zu lesen war: »Sie befinden sich auf der chinesischen Seite.« Indisches Militär verstärkte seine Präsenz und zeigte in etwa 500 Meter Entfernung Flagge. Beide Lager behaupteten, auf eigenem nationalen Territorium zu operieren.

Die indische Regierung versuchte, den Vorfall herunterzuspielen, zumal der chinesische Ministerpräsident Li Keqiang einen Kurzaufenthalt für den 20. Mai in Delhi angekündigt hat und Indiens Verteidigungsminister A.K. Anthony beabsichtigt, im Mai oder Juni nach China zu reisen. Premier Singh sagte, es handele sich um eine »lokale Angelegenheit«. Die Lage dürfe nicht eskalieren. Minister Anthony erklärte, Indien sehe sich einer friedlichen Lösung durch militärischen und diplomatischen Dialog verpflichtet. Auf allen Ebenen würden Schritte unternommen, die nationalen Interessen zu sichern.

Ein Sprecher des Außenministeriums gab zwar zu, dass es im Depsang-Tal eine »Situation von Angesicht zu Angesicht« gibt, sprach zugleich aber auch von »Mechanismen zur Lösung« des Disputs. Außenminister Khurshid mahnte zum Maßhalten und bewies Voraussicht: Der Vorfall »bereitet uns keine schlaflosen Nächte; auch China denkt, dass man das bereinigen kann.«

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 7. Mai 2013


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