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China und Japan auf Kollisionskurs

Streit um Inselgruppe spitzt sich weiter zu. Peking sagt gemeinsame Feier ab

Von Josef Oberländer *

Der seit Jahrzehnten schwelende Streit zwischen China und Japan um eine unbewohnte Inselgruppe, in deren Umkreis neben reichen Fischgründen Erdgas und Öl zu finden sein sollen, hat sich am Wochenende weiter zugespitzt. Peking sagte die für Donnerstag geplanten Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der Normalisierung der bilateralen Beziehungen ab. Zudem wurde bekannt, daß US-Verteidigungsminister Leon Panetta seinen chinesischen Amtskollegen Liang Guanglie bei seinem Besuch in Peking wissen ließ, die Vereinigten Staaten seien vertraglich dazu verpflichtet, die 300 Kilometer westlich von Okinawa gelegenen Senkaku-Inseln (chinesisch Diaoyu) für Japan zu verteidigen.

In Tokio nahmen am Sonntag 1400 Nationalisten und Rechtsextreme an einem Sternmarsch zur chinesischen Botschaft teil, um gegen die militärische Präsenz Chinas in dem umstrittenen Seegebiet zu protestieren. Dazu aufgerufen hatte das Nationale Aktionskomitee »Ganbare Nippon!«, das vom ehemaligen Luftwaffenchef Toshio Tamogami gegründet worden war. »Kommt raus!«, riefen die aufgebrachten Demonstranten in Richtung des festungsartigen Botschaftsgebäudes. Nach wenigen Minuten wurden sie von einem großen Polizeiaufgebot abgedrängt. »Versenkt die chinesischen Schiffe in unseren Gewässern!« und »Gebt den chinesischen Terroristen nicht nach!«, hieß es auf Plakaten und Transparenten. Noch ist allerdings von den 1000 chinesischen Fischerbooten, die sich angeblich auf dem Weg zu den Inseln befinden, nichts zu sehen.

In China versucht die Regierung derweil, die antijapanischen Proteste in den Griff zu bekommen. Die Demonstrationen drohen, zum Forum für andere Themen zu werden. In der südchinesischen Wirtschaftsmetropole Shenzhen waren Forderungen wie »Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und eine verfassungsmäßige Regierung« auf Transparenten zu lesen. Auch nichtjapanische Geschäfte wurden geplündert.

Gegen Nippon bleibt die Volksrepublik indes hart. Sie erschwert den Warenverkehr, indem sie die Zollabfertigung in die Länge zieht, wie Handelshäuser und Transportunternehmen berichten. Zahlreiche Werke japanischer Konzerne in China sind auf Komponenten aus dem Inselstaat angewiesen. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ist mit der drittgrößten eng verzahnt. Den allein durch die jüngsten Unruhen bedingten Produktionsausfall der japanischen Autohersteller schätzen Branchenexperten auf 250 Millionen Dollar. Stehen die Bänder wegen fehlender Teile still, wird es wesentlich teurer.

Eigentlich wollte die japanische Regierung den Konflikt durch ihr Handeln entschärfen. Der Kauf der Inseln, der in China so viel Empörung auslöste, sollte vermeiden, daß Tokios Gouverneur Shintaro Ishihara die Eilande erwirbt. Dann wären sie zu einer Art Erlebnispark für Rechtsextremisten geworden – mit unabsehbaren Folgen für die japanisch-chinesischen Beziehungen. Die Kurihara-Familie, von der das Kabinett die Inseln gekauft hat, empfahl unterdessen, den Fall vor den Internationalen Gerichtshof zu tragen. Auf diese Weise könne eine objektive Entscheidung nach internationalem Recht erwirkt werden. Tokio scheint, anders als in früheren Auseinandersetzungen mit Peking, dieses Mal nicht geneigt, nachzugeben.

Auch wenn man in der Regierung Chinas derzeit offenbar vor Kraft kaum laufen kann, dürfte sich der Streit um die Diaoyu- bzw. Senkaku-Inseln zum Nachteil der Volksrepublik entwickeln. Er leistet der unausgesprochenen Eindämmungsstrategie Washingtons gegenüber Peking Vorschub. Japan wird dadurch enger an die USA gebunden. Zudem treibt der von der Regierung der Volksrepublik ebenso offensiv verfolgte Anspruch auf die im südchinesischen Meer verstreuten Spratly-Inseln, die in China Nansha genannt werden, den Vereinigten Staaten nicht nur die Philippinen in die Arme. Auch Brunei, Malaysia, Taiwan und Vietnam, die ebenfalls einen Teil der Insel für sich reklamieren, sind auf der Suche nach Verbündeten gegen die Regionalmacht aus dem Norden. In diesem Streit hat Peking ebenfalls bereits vorübergehende Störungen des Warenverkehrs als Druckmittel eingesetzt. So ließ China im Mai Früchte von den Philippinen in den Häfen verrotten, um der eigenen Position Nachdruck zu verleihen.

* Aus: junge Welt, Montag, 24. September 2012


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